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Sally Rooney ist die «Anführerin» einer neuen Generation von irischen Autorinnen, die mit einem brutalen Realitätssinn schreiben.   © Linda Brownlee / Eyevine / Dukas

Das Drama des Erwachsenwerdens in Irland

Sie besuchten dieselbe Universität, tranken, verliebten sich in die falschen Männer und verloren sich im Leben. Aus ihren Erlebnissen haben die jungen Autorinnen Bestseller geschrieben und die irische Literatur revolutioniert.

Text: Elena Lynch

Medium: NZZ, 4.9.2022

 

 

Ja, haben sie denn alle dasselbe erlebt? Diese Frage stellt man sich, wenn man die Erstlingswerke der vier zurzeit erfolgreichsten irischen jungen Autorinnen liest, die alle auf autobiografischen Erfahrungen basieren.

 

Die Rede ist von Coming-of-Age-Romanen wie «Aufregende Zeiten» von Naoise Dolan, «Verzweiflungstaten» von Megan Nolan und «Snowflake» von Louise Nealon, die dieses und letztes Jahr übersetzt im deutschen Sprachraum Einzug gehalten und Erfolge gefeiert haben. Allen voran steht aber Sally Rooney, die mit «Schöne Welt, wo bist du?» letztes Jahr ihren dritten Roman präsentiert hat. Sie wurde mit ihren ersten zwei Büchern zur Stimme der Millennials – und erlangte als solche weltweite Bekanntheit.

 

Da auch die anderen Autorinnen junge Irinnen sind, liessen die Vergleiche nicht lange auf sich warten: Die «Irish Times» schrieb über die eine, dass sie das «Sally-Rooney-Loch» im Leben vieler Leserinnen und Leser füllen werde, erkannte bei der anderen «Anklänge an Sally Rooney». Die Vergleiche entspringen sicher auch einer Verkaufsstrategie, sind hier aber angebracht: Die Bücher und Biografien der Autorinnen ähneln sich so sehr, dass man ihnen in Irland ein eigenes Genre gewidmet hat: «Trin-Lit» – eine Anspielung auf das Trinity College Dublin, wo die Autorinnen allesamt studiert haben.

 

Junge Frauen wie sie selbst

Die Alma Mater ist nur eine Ähnlichkeit von vielen: Die Autorinnen sind zwischen zwanzig und dreissig, auf dem Land aufgewachsen, gehören der Arbeiterklasse an und beschäftigen sich in ihren Büchern mit der Frage, was es heisst, im 21. Jahrhundert eine (junge) Frau zu sein. Um diese Frage zu beantworten, greifen sie auf Figuren zurück, die ähnlich alt sind wie sie selbst. Sally Rooney hat es vorgemacht: Ihre Figuren befinden sich stets in derselben Lebensphase wie sie. In den ersten zwei Büchern sind die Figuren zwanzig und studieren in Dublin. Im dritten sind sie dreissig, beruflich erfolgreich und leben auf dem Land.

 

Wenig verwunderlich also, dass eine ihrer Protagonistinnen in «Schöne Welt, wo bist du?» eine erfolgreiche Romanautorin Ende 20 ist, die mit ihrem Ruhm ringt und soeben von der grossen Stadt in ein kleines Küstendorf gezogen ist. Denn genau das hat Rooney auch getan.

 

Auch Megan Nolan, Autorin von «Verzweiflungstaten», dient das eigene Milieu als Material zum Schreiben: Sie ist in Waterford aufgewachsen, zog fürs Studium nach Dublin, ging zum Schreiben nach Athen – alles Orte, an denen sich auch ihre namenlose Protagonistin aufhält. Diese klammert sich an einen älteren Mann, den schönen Schriftsteller Ciaran, und kommt sich selbst dabei komplett abhanden. «Verzweiflungstaten» ist eine Chronik einer düsteren, zutiefst unausgewogenen und beunruhigenden Liebesbeziehung, die durch Alkohol belebt und mit Gewaltandrohung durchsetzt ist. Es geht um Sex und Sehnsucht, Selbstzerstörung und Strukturen.

 

Obwohl es laut Nolan in ihrem Leben keinen Ciaran gegeben hat, spiegelt der Verlauf des Romans – ein Teenager zieht aus einer irischen Kleinstadt in die Hauptstadt, schmeisst ihr Studium und schlägt sich notdürftig mit Jobs und vorübergehenden Unterkünften durch, während sie ausgiebige Partys feiert – ihre Jugend wider.

 

Zwischen Bauernhof und Grossstadt

Auch Louise Nealon sucht sich für «Snowflake» Schicksale und Schauplätze aus, die sie selbst gut kennt: Ihr Debütroman erzählt die Geschichte von Debbie, die mit ihrer psychisch kranken Mutter Maeve und ihrem alkoholkranken Onkel Billy auf einer Farm lebt. Dort bleibt sie auch während ihres Studiums in Dublin wohnen. Die Spannung zwischen Bauernhof und Grossstadt hält Debbie nur schwer aus. Als sie am ersten Tag durch das Tor des Trinity College Dublin geht, ist es, als würde ihr altes Ich sterben: «Es fühlt sich an, als müsste ich eine Beerdigung für mich selbst halten.» Diesen Übergangsschmerz kann Nealon nachempfinden. Sie war auf die Veränderungen nicht vorbereitet und wurde deswegen depressiv. «Es war die schwierigste Zeit meines Lebens», sagte sie in einem Interview mit der «Irish Times».

 

Naoise Dolan ist die Einzige, die ihren Roman nicht in Dublin situiert. Aber auch bei ihr ist es ein Ort, der für eine schwierige Zeit steht: «Ich war traurig in Dublin, entschied, dass die Stadt schuld war, und dachte, Hongkong könnte helfen», sagt die Protagonistin Ava. «Aufregende Zeiten» spielt in Hongkong, wo Dolan sich nach dem Studium aufgehalten und Englisch unterrichtet hat. Ihre Protagonistin Ava tut es ihr gleich und ist, wie Dolan, aus Dublin und queer.

 

In Hongkong hat Ava eine Beziehung mit dem älteren Julian, der sie bei sich wohnen und seine Kreditkarten benutzen lässt. Dass er Engländer ist, aus der oberen Mittelschicht stammt und in Oxford studiert hat, verunsichert sie in Bezug auf ihre Beziehung, aber auch auf ihren sozioökonomischen Hintergrund. Als er eine Weile weg ist, fängt Ava etwas mit Edith an. Das Debüt schildert nicht nur eine komplizierte Dreiecksbeziehung, sondern ist auch eine Darstellung einer jungen Frau, die sich mit zwei sehr unterschiedlichen Menschen und damit, was sie in ihr auslösen, auseinandersetzt. So findet sie heraus, wer sie sein will.

 

Gemeinsam haben sie – die Leere

Es sind Erkundungen des frühen Erwachsenenlebens, die diese Bücher beschreiben. Die Erfahrung, die alle Autorinnen eint, ist, dass sie von einem kleinen Kontext, in dem sie sich sicher fühlten und erfolgreich waren, in einen grösseren wechselten, wo sie sich nicht zurechtfinden. Diese Episode erkunden sie in ihren Büchern, indem sie ihre Protagonistinnen dasselbe durchleben lassen: Sie verlassen die Arbeiterklasse auf dem Land für die Elite in der Stadt, wo sie zwischen Hedonismus und Herzschmerz ins Straucheln geraten.

 

Sie trinken. Sie haben toxische Beziehungen mit älteren Männern. Sie fühlen sich leer. Und darin – in der inneren Leere, die aus alledem resultiert – liegt wohl die grösste Gemeinsamkeit zwischen den Geschichten dieser aufstrebenden Autorinnen. – Doch woher rührt diese Verlorenheit?

 

Die Universität nimmt diesbezüglich eine wichtige Rolle ein. Am Trinity College Dublin angenommen zu werden, gilt in Irland als grosse Leistung. Es ist die bestbewertete Universität des Landes. Das Renommee wird auch in den Romanen thematisiert. Im einen Buch wird die Institution als einziges College beschrieben, auf das es sich zu gehen lohnt, für das es aber viel «Brainpower» braucht, um reinzukommen.

 

Als die Protagonistin Marianne in «Normale Menschen», im zweiten Buch von Sally Rooney, dort angenommen wird, erlebt sie das als Erfolg. Aber als sie dann da ist, fühlt sie sich fehl am Platz. Während Marianne als «armes reiches Mädchen» einem wohlhabenden Milieu entstammt, gehören die anderen Protagonistinnen der Arbeiterklasse an. Das Gefühl, nicht zu genügen, ergibt sich bei ihnen aus dem Gefälle zwischen Arbeiterklasse und Bildungselite.

 

Das Karo-Hemd des Onkels

In «Snowflake» von Louise Nealon manifestiert sich der Minderwertigkeitskomplex über Kleidung. An ihrem ersten Tag am Trinity College Dublin reflektiert Debbie, was die anderen Studentinnen und Studenten tragen, nämlich schicke Blazer, Pullover von Abercrombie & Fitch und Ralph-Lauren-T-Shirts.

 

Und schämt sich sogleich dafür, was sie selbst anhat: «Ich trage mein bestes Paar Jeans und ein Karo-Hemd von meinem Onkel mit hochgekrempelten Ärmeln. Ich sehe aus, als würde ich gleich Kartoffeln ausgraben gehen.» Das hat die Autorin direkt aus ihrem Leben entnommen: «Ich war 18 und sah aus wie jemand, der sein Kind auf dem Campus verloren hat», sagte Nealon in einem Interview mit «The Irish Times» und beschrieb dann dasselbe Outfit.

 

Megan Nolan, Autorin von «Verzweiflungstaten», sagte in einem Interview mit «The Irish Times», sie sei erstaunt gewesen, wie viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen auf eine Privatschule gegangen seien – und dass es diesen Klassenunterschied überhaupt gebe, über den sie sich vor dem Studium nie Gedanken gemacht habe. Als sie zum Studium nach Dublin kam, änderte sich das – und wirkte sich auf ihr Selbstbewusstsein aus: «Ich dachte, ich wäre selbstbewusst, bevor ich diese Leute traf, aber ich war selbstbewusst in meinem eigenen Leben, während sie selbstbewusst in der Welt waren.»

 

Sie versuchte, sich Selbstsicherheit anzutrinken: «Es war verrückt, wie viel ich trank», sagte sie in einem Interview mit «The Guardian», «ich weiss nicht, ob das mit Dublin zu tun hatte oder mit der Lebensphase, die ich durchlebte.» Damit spielt sie darauf an, wie sich ihr Leben damals entwickelte – oder eben nicht entwickelte. Sie wollte immer ans Trinity College Dublin, aber als sie da war, kam sie nicht mit. Sie musste das Studium schmeissen, arbeitete stattdessen in einem Modehaus und in einem Burger-Laden. Auch in ihrem Buch liegt das Leben der Protagonistin praktisch auf Eis, als sie ihr Studium abbricht. Obwohl sie das Studentenleben hinter sich gelassen hat, scheint sie dennoch darin gefangen. Sie befindet sich in einer endlosen Warteschleife – und kommt aus ihrer toxischen Beziehung nicht heraus.

 

Mit der Welt nicht im Einklang

Die Studienzeit steht für einen Erfolg, der letztlich in Leere mündet. Und diese Leere kommt in allen Büchern vor; genauso wie die Tatsache, dass sie sich durch nichts füllen lässt: nicht durch Alkohol, nicht durch Erfolg, nicht durch Sex. Doch die schlechten Beziehungen, der übermässige Alkoholkonsum, die unbefriedigenden Jobs sind nur Symptome des tieferen Gefühls, nicht mit der Welt in Einklang zu sein.

 

Die Autorinnen wurden alle um 1990 geboren und erreichten das Erwachsenenalter, als in Irland die Wirtschaft zusammenbrach. Bis 2008 wuchsen sie in einem Land auf, in dem die Dinge besser wurden: Der Konflikt in Nordirland war kein Krieg mehr. Die Autorität der katholischen Kirche nahm ab. Aus sozialen Fragen wurden soziale Fortschritte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gab es eine Generation, die wusste: Egal, was ich mache, egal, was ich studiere, ich werde meinen Platz in Irland schon finden und nicht das Land verlassen müssen.

 

Der Crash änderte das schlagartig – und liess eine ungeheure Unsicherheit zurück, die diese Generation in einem beeinflussbaren Alter traf. Sie steckte mitten im Studium. Indem die Autorinnen über ihre Studienzeit schreiben, verarbeiten sie also auch den Schock von damals.

 

Es ist Teil eurer Tradition!

Die Autorinnen mussten damals nicht nur darüber nachdenken, was sie mit ihrem Leben anfangen wollten, sondern auch darüber, wie sie schreiben wollten. Zwar bot ihnen die Vergangenheit der irischen Literatur viele Vorbilder, die ihnen vermittelten: Ihr seid irisch, ihr könnt schreiben! Es ist Teil eurer Tradition! Nur was den Inhalt betraf, konnten sie keiner Tradition mehr folgen. Denn das, was war, entsprach nicht mehr der Zeit.

 

Irland gilt als eines der am stärksten globalisierten Länder der Welt, besonders seit das Land nach dem Crash zur Steueroase für internationale Konzerne wie Google und Facebook geworden ist. Nationalismus und Katholizismus taugten in diesem Kontext nicht mehr als Motive, obwohl sie lange Zeit die dominierenden Kräfte in der irischen Literatur waren.

 

Indem die Autorinnen über ihre eigenen Erfahrungen schreiben, machen sie nicht etwas explizit Irisches, sondern gehören einem globalen Trend an: dem des autofiktionalen Schreibens. Der Wert solcher Werke liegt in ihrer (behaupteten) Wahrhaftigkeit, zumindest lösen sie bei den Leserinnen und Lesern starke Momente der Identifikation aus. Im Eigenen das Allgemeine herzustellen, scheint das Erfolgsrezept der Zeit.

 

Sally Rooney erzählte das Leben, wie sie es wirklich erlebte, und sagte damit dem irisch-inhärenten Schweigen und der Scham den Kampf an. Sie ist die «Anführerin» einer neuen Generation von irischen Autorinnen, die über Frauenleben schreiben, wie es in Irland noch nie zuvor getan wurde: mit brutalem Realitätssinn. So schreiben die Autorinnen auch über Sex schonungslos, wie etwa Megan Nolan: «Schliesslich tat ich, was ich tun musste, um ihn davon abzuhalten, Sex mit mir haben zu wollen, und das war, Sex mit ihm zu haben.»

 

Das Erfolgsrezept der Zeit

Heisst das, die Autorinnen müssen schreiben, bis sie ihr Leben durchdokumentiert haben? Werden sie irgendwann aus ihrem Erfolg herauswachsen, wenn ihr Leben nicht mehr wild ist? Gut möglich, dass die Autorinnen, als Angehörige einer globalisierten Generation, vom Narrativ «Junge Irin zieht vom irischen Land in irische Stadt, besucht irische Universität, kommt mit irischen Männern nicht klar und tröstet sich mit irischem Bier» in Zukunft abweichen werden. Sally Rooney folgt der Logik des Lebens, auch wenn es ruhiger wird. So machte sie, nachdem sie 2020 geheiratet hatte, Heirat in «Schöne Welt, wo bist du?» zum Thema. Das Buch war ein Bestseller.

 

 

 

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