Text: Elena Lynch
Medium: ZEIT ONLINE, 14.08.2023
Ich bin auf einem Roadtrip, die Hände am Steuer, und zähle Männer: Mann. Mann. Mann. Und nach einer Weile wieder: Mann. Mann. Mann. In den Autos auf der Gegenfahrbahn sitzen die Frauen fast immer auf dem Beifahrersitz. Ich könnte es auf Island schieben, durch dessen vulkanische Landschaft ich gerade fahre, aber ich weiß es besser: Zehn Jahre lang saß ich selbst nur daneben, obwohl ich einen Führerschein hatte. Mein damaliger Freund fuhr – und ich war einverstanden damit. Dagegen gewehrt habe ich mich erst später, als wir nicht mehr zusammen waren, dann aber richtig: mit Beweisfotos!
Zunächst gefiel es mir einfach, einen älteren Freund zu haben, der mich nachts von der Party abholt. In meiner Jugend erhielt man als Mann dafür viele Punkte auf der Attraktivitätsskala. Ich erinnere mich an den Stolz, mit dem ich meinen Freundinnen – brutal betrunken – mitteilte, dass ich ihn angerufen habe und er mich nun heimfahren werde. Es war ein Meilenstein in meinem jungen Erwachsenenleben und meiner Emanzipation von den Eltern. Die Sitzordnung im Auto war mir egal. Das Patriarchat auch.
Womöglich war es mir auch recht, Verantwortung abzugeben, zumal ich mit knapp 20 Jahren ohnehin noch nicht wusste, wie man welche übernahm. Die Füße auf dem Armaturenbrett zu haben, war eindeutig entspannter als auf den Pedalen. Der Beifahrersitz war bequem: Dort konnte man schlafen, was ich auch andauernd tat.
Entscheidender aber war, dass ich mir das Fahren nicht zutraute – zu viele Unfälle, zu viele Unsicherheiten. Als ich vor meiner Fahrprüfung unter Aufsicht meines Vaters noch etwas üben wollte, fuhr ich eine seeehr laaange Schramme in die Seite seines Autos. Ich war im falschen Winkel in die Einfahrt einer Garage gebogen. Der Audi A4 tut mir bis heute leid. Als ich dann die Fahrprüfung beim ersten Versuch bestand, schenkte mir mein Vater ein Spielzeugauto mit Schramme an der Seite. Er hatte sie selbst reingekratzt.
Vor 13 Jahren hatte ich genug Selbstironie, um das lustig zu finden. Im Rückblick wirkt der Kratzer im Spielzeugauto wie eine selbsterfüllende Prophezeiung, die für alles das stand, was danach kam: Da war das Auto meines Cousins, das ich «touchierte», als ich rückwärts aus der Garage fuhr, vor der es stand. Das Garagentor, das ich rammte und zum Einsturz brachte, als ich das erste Mal mit Automatik fuhr und Bremse mit Gas verwechselte. Oder das Auto mit Wohnwagen, das rückwärts in mich reinfuhr, weil dessen Rücklichter nicht funktionierten und sich mir das Manöver Mitten-auf-der-Straße-den-Rückwärtsgang-Einlegen durch nichts angekündigt hatte. Bumm!
Mit Anfang 20 ging also viel von meinem Ersparten an Autowerkstätten. Vielleicht hätte ich gedacht: shit happens. Das Leben hat eine Lernkurve, auch beim Autofahren und gerade in der Jugend! Aber meine Eltern sahen das anders und ich darum auch. Mein Vater ließ mich nicht mehr mit seinem Auto fahren. Und für meine Mutter waren diese Desaster Beweise dafür, dass ich das alles «noch nicht ganz im Griff» gehabt habe, wie sie mir nun auf Nachfrage am Telefon sagte.
Auto fahren ist gegendert
Sorgte sich meine Mutter um meine Sicherheit? Dann hätte sie mich besser zum Fahren motivieren als davon abhalten sollen. Als Frau ist es eindeutig gefährlicher, bei einem Mann mitzufahren, als umgekehrt. Sind Frauen in Unfälle verwickelt, sitzen sie in der Regel auf dem Beifahrersitz. Männer verstoßen öfter gegen die Verkehrsregeln und verursachen deutlich mehr Verkehrsunfälle als Frauen – und zwar in allen Altersgruppen.
Und trotzdem: Frauen fahren weniger, legen kürzere Distanzen zurück, nutzen seltener einen Firmenwagen oder Leihwagen. Dabei haben in Deutschland genauso viele Frauen Auto fahren gelernt wie Männer. Bis 44 Jahre sind es sogar mehr Frauen als Männer. Warum fahren sie dann nicht auch öfter, wenn sie mit ihren Partnern unterwegs sind?
Joachim Scheiner von der TU Dortmund ist einer der wenigen, der in Deutschland zur Frage forscht, wer wann am Steuer sitzt. Seine Studien zeigen: Auto fahren ist gegendert. Männer fahren öfter, weil sie mehr verdienen, darum eher das Auto bezahlen und beanspruchen. Männer sind in Beziehungen meistens auch älter als Frauen (das trifft auf 82 Prozent der Paare in Deutschland zu) und werden darum beim Autofahren als «erfahrener» erachtet.
Mein erster Freund, vier Jahre älter als ich, fuhr mit dem Auto betrunken unter der Schranke eines Parkhauses durch. Ihm wurde deswegen der Führerschein entzogen. Meine Mutter kannte die Geschichte. Trotzdem fand sie, es sei besser, wenn er fährt. Stand ein Urlaub oder ein Umzug bevor, fragte sie stets, ob mein Freund fahren würde. Wenn ich bejahte, war sie beruhigt.
Dabei tat auch er vieles zum ersten Mal: in Irland, wo die Familie meines Vaters lebt, auf der linken Straßenseite fahren oder einen Transporter bei einem Umzug steuern. Er hat Bußstrafen bekommen, verkratzte einen geliehenen Sprinter und bekam die Kaution von 300 Euro nicht zurück. Das hätte ich alles auch geschafft. Aber irgendwann traute ich mich nicht mehr, auch weil meine Eltern mir das Autofahren absprachen.
War es, weil sie selbst vor Langstrecken und Transportern zurückschreckten? Oder weil ich eine Frau war und sie es mir nicht zutrauten? Ich habe keinen Bruder, mit dem ich mich vergleichen könnte, nur eine Schwester – und die ließ mein Vater auch nicht mit seinem Auto fahren, obwohl sie unfallfreier unterwegs war als ich. Zu seiner Entlastung muss ich sagen: Meinen damaligen Freund ließ er auch nicht fahren.
War es, weil sie selbst vor Langstrecken und Transportern zurückschreckten? Oder weil ich eine Frau war und sie es mir nicht zutrauten? Ich habe keinen Bruder, mit dem ich mich vergleichen könnte, nur eine Schwester – und die ließ mein Vater auch nicht mit seinem Auto fahren, obwohl sie unfallfreier unterwegs war als ich. Zu seiner Entlastung muss ich sagen: Meinen damaligen Freund ließ er auch nicht fahren.
So oder so hätte ich die Meinung meiner Eltern einfach ignorieren sollen. Zumal mein Freund seine Unfälle mit unverschämter Unbekümmertheit hinnahm. Ich beneidete ihn darum. Wäre ich betrunken aus einem Parkhaus gerast, hätte ich mich bis ans Ende meines Lebens in eine Ecke gestellt. Ihn hingegen kümmerte das kaum. Er fuhr einfach weiter, mit demselben Selbstbewusstsein wie davor, als er den Führerschein nach sechs Monaten wiederhatte. Er stellte sich nicht infrage, auch weil es sonst niemand tat. Männer können Auto fahren, wie Frauen kochen können, gottgegeben, eben.
Im Kampf gegen Klischees
Irgendwann ging die Beziehung zwischen meinem damaligen Freund und mir auseinander. Und ich zog allein nach Wien, wo mir Bekannte ohne Bedenken ihre Autos liehen. Das Vertrauen, das sie mir entgegenbrachten, verwunderte mich. Wussten sie denn nicht, was sie taten? Ihr Vertrauen ließ mich langsam wieder an mich selbst glauben. Und so steuerte ich fremde Autos durch fremde Großstädte. Es ging immer glatt.
Bald wurde ich trotzig: Warum sollte mein Mitbewohner beim ersten Mal den Sprinter besser steuern können als ich? Warum sollten alle Arbeitskollegen den Firmenwagen mit Automatik fahren können, ich aber nicht? Warum sollte jeder deutsche Tourist, der zum ersten Mal nach Irland kommt, sicherer auf der linken Straßenseite fahren können als ich? Es gab keine Gründe, außer die gelernten Schranken in meinem Kopf.
Weil ich es nicht nur mir beweisen wollte, sondern auch meiner Familie, schickte ich Fotos: Ich, wie ich am Steuer ein Softeis esse, nachdem ich in Dublin das erste Mal links gefahren bin. Ich, wie ich auf Kreta vor einem Van stehe, den ich über die ganze Insel gesteuert habe. Ich, wie ich einen Sprinter tanke, den ich 1.000 Kilometer von Zürich nach Berlin gefahren bin.
Ich befand mich in einem Kampf gegen Klischees. Die Beweisführung machte ich auch mit anderen Dingen, die Frauen nicht tun, weil sie als Dinge gelten, die Frauen nicht tun. Meine Familie erhielt Fotos von einer Deckenlampe, die ich montiert hatte, von einem Bild, das ich aufgehängt hatte, und von einer Kommode, die ich zusammengebaut hatte.
Mein Vater schickte das Emoji mit den Sternenaugen. Zu Weihnachten schenkte er mir eine Bohrmaschine und einen Werkzeugkasten. Dass er mich bis heute nicht mit seinem Auto fahren lässt, scheint mir umso unerklärlicher. Auch weil er den Führerschein erst mit 34 machte und zehn Jahre lang der Beifahrer meiner Mutter war, die in unserer Familie bis heute als die bessere Autofahrerin gilt.
Als ich meinen Vater anrief, um zu fragen, warum er mich nicht sein Auto fahren lässt, sagte er, dass er mir mit dem Auto vielleicht nicht vertraue, dass es vielleicht zu kraftvoll für mich sei, dass er vielleicht lieber selbst in Kontrolle sei, dass er auf das Auto angewiesen sei, dass er sich ein neues Auto nicht leisten könne. Das passt. Eine schwedische Studie zeigt, dass Männer nicht gerne die Kontrolle über das Fahren abgeben, mehr technische Fähigkeiten für sich beanspruchen und sich dem Auto emotional stärker verbunden fühlen als Frauen.
Am Ende sagt mein Vater: «Vielleicht erfinde ich auch irgendwelche Ausreden. Was würdest du denn sagen, wenn du ein Auto für 20.000 Euro gekauft hast und ich dich fragen würde, ob ich mal damit fahren darf?» Ich erzählte ihm, wie ermächtigt ich mich gefühlt hätte, als mir Menschen ihre Autos ausliehen, ohne mich davor auf einem Parkplatz Proberunden drehen zu lassen, und dass ich darum allen mein Auto ausleihen würde, die fragten – wenn ich denn eins hätte.
Natürlich muss man sich die Hälfte der Welt auch selbst nehmen, aber es hilft, wenn einem ein Stück davon angeboten wird. Nach dieser Logik müsste ich auch meinen jetzigen Freund mal fahren lassen. Er hat keinen Führerschein, überlegt aber, ihn zu machen. Soll er doch. Ich werde ihn trotzdem nicht ans Steuer lassen.