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Dreimal North Face, einmal no face: Mo Chara, DJ Próvaí und Móglaí Bap (von links nach rechts) sind die nordirische Band Kneecap. © Peadar ó Goill

Flüssige Sprache, flüssiges Koks

Kneecap aus Belfast verbinden Rap mit Rave und politisches Sendungsbewusstsein mit ungesunden Hobbys. Ihre irischen Lyrics sind virtuos, ihre Inhalte durchaus streitbar.

Text: Elena Lynch

Medium: ZEIT ONLINE, 13.06.2024

 

Was tun, wenn es in der Sprache, die man spricht, keine Wörter gibt für die Drogen, die man nimmt? Dann erfindet man eben welche, dachte sich das Hip-Hop-Trio Kneecap aus dem nordirischen Belfast. Die Gruppe besteht aus zwei Rappern, Móglaí Bap und Mo Chara, sowie dem DJ Próvaí und rappt hauptsächlich auf Irisch – was vor ihnen kaum jemand je versucht hatte. Seit ihrer ersten, 2017 veröffentlichten Single haben Kneecap Song für Song ihr inhaltliches Spektrum ausgeweitet: Geschlechtskrankheiten mit Amach Anocht, Satire mit Get Your Brits Out, Verlust mit Mam. Dabei ist auf beiden Seiten der irischen Binnengrenze und in der Diaspora in den USA und Großbritannien eine Fangemeinde entstanden, die sich bei Konzerten oberkörperfrei ins Moshpit stürzt und die irischen Texte mitsingt, ohne, in vielen Fällen, selbst Irisch zu sprechen. Nun erscheint ihr Debütalbum Fine Art, im Spätsommer außerdem das Band-Biopic Kneecap.

 

Die Künstler vereinen Techno und Rap mit traditioneller irischer Musik sowie Rave mit republikanischer Politik, was im irischen Kontext das Streben nach der Wiedervereinigung von Norden und Süden des Landes bedeutet. Als wäre diese Mischung noch nicht wild genug, beleben Kneecap auch eine Sprache wieder, der bisher die Worte fehlten für ihr drogendurchzogenes Leben abseits des irischen Moors. Für MDMA zum Beispiel haben sich Kneecap eine eigene Abkürzung ausgedacht: 3CAG oder «3 Chonsan agus Guta», was übersetzt «drei Konsonanten und ein Vokal» heißt. Für andere Drogen haben sie sich an Wörtern orientiert, die es im Irischen schon gibt, wie «Snaois» (Schnupftabak) für Kokain, «Dúidín» (Tonpfeife) für einen Joint oder «Capaillín» (kleines Pferd) für Ketamin, ein Betäubungsmittel für Pferde.

 

«Während der Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts wurde, soweit ich weiß, noch kein Kokain konsumiert, deshalb gibt es auch keine irischen Begriffe dafür», sagt Móglaí Bap im Interview mit ZEIT ONLINE. «Kokain wurde eben wie Kartoffeln von den Engländern ins Ausland abgeführt», scherzt Mo Chara und spielt damit auf eine wissenschaftlich anerkannte Theorie des irischen Historikers Cormac Ó Gráda an, dass es in Irland während der Hungersnot von 1845 bis 1852 genug Essen gegeben hätte, wäre es nicht von den Engländern exportiert worden.

 

Die Musik von Kneecap spiegelt die Erfahrungen, die sie als junge Nordiren in einer Post-Konflikt- Gesellschaft sammeln. Schon ihr Bandname verweist auf die für die Irisch-Republikanische Armee (IRA) typische Bestrafung des kneecappings, bei der den Betroffenen in eine oder beide Kniescheiben geschossen wurde. Dabei sind Kneecap in vergleichsweise friedlichen Zeiten aufgewachsen: 1998 endete mit dem Karfreitagsabkommen ein 30-jähriger Bürgerkrieg zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten. Mo Chara war da gerade geboren, Móglaí Bap vier und DJ Próvaí acht Jahre alt.

 

Was davor geschehen ist, haben Kneecap trotzdem verinnerlicht. Der Vater von DJ Próvaí wurde bei einer Demonstration am Bloody Sunday, dem Tag eines Angriffs von britischen Fallschirmjägern auf vornehmlich katholische Zivilisten im Jahr 1972 festgenommen. Die Geschichte Nordirlands ist für Kneecap also auch buchstäbliche Familiengeschichte; wie ihre bürgerlichen, nicht ans Englische angepassten Namen (Móglaí Bap heißt abseits der Bühne Naoise Ó Cairealláin, Mo Chara Liam Óg Ó Hannaidh und DJ Próvaí JJ Ó Dochartaigh) erahnen lassen, sind das Irischsein und -sprechen wichtige Teile ihrer Identität. Móglaí Bap wuchs in einem irischsprachigen Haushalt auf und Mo Chara und DJ Próvaí lernten die Sprache in einer von 30 irischsprachigen Schulen in Nordirland, die in der Regel von Katholiken betrieben und besucht werden.

 

DJ Próvaí, der selbst als Lehrer an einer katholischen Schule Irisch unterrichtete, bis er 2019 entlassen wurde, weil er bei einem Auftritt mit Kneecap seinen entblößten Hintern mit der Aufschrift «Brits out» ins Publikum hielt und trotz grün-weiß-orangener Sturmhaube von seinen Vorgesetzten auf Videos erkannt wurde, sagt: «Unsere Eltern schickten uns auf irischsprachige Schulen, damit wir als Iren unsere eigene Geschichte lernen und nicht die vielleicht verzerrte Version der Kolonialmacht.» Da Nordirland zu Großbritannien gehört, gelten dort britische Lehrpläne, die die britische Geschichtsschreibung und keinen Irischunterricht vorsehen. Im Süden ist Irisch seit der Unabhängigkeit 1922 an staatlichen Schulen Pflichtfach.

 

Hintern entblößt, Job verloren

Als Lehrer, sagt DJ Próvaí, sei es ihm immer darum gegangen, seinen Schülern Irisch als soziale Sprache zu vermitteln. «Es ist eine sehr angenehme Sprache. Sie ist poetisch und craic», erklärt er, womit er das irische Wort für Spaß meint, nicht die Droge Crack. Heißt also auch: Irisch ist eine wunderbare Rapsprache. Dass sich auch das Hip-Hop-Projekt Kneecap für diese Sprache und ihr identitätsstiftendes Potenzial einsetzt, zeigte schon 2017 die Single C.E.A.R.T.A. («Rechte» auf Irisch), deren Geschichte auf wahre Begebenheiten anspielt. Móglaí Bap und ein Freund, erzählen Kneecap, wurden 2017 beim Sprayen von irischen Slogans – darunter auch «C.E.A.R.T.A.» – von der Polizei erwischt. Der Freund wurde festgenommen und auf der Wache verhört, wo er nur Irisch mit den Beamten sprach – eine Szene, die etwas abgeändert auch in Kneecaps Biopic vorkommt.

 

Am Tag nach dem Graffiti-Gau fand ein Marsch zum Irish Language Act statt, an dem Kneecap teilnahmen und bei dem die Gleichstellung der irischen Sprache mit dem Englischen gefordert wurde (darum auch die politischen Graffitis von Móglaí Bap und seinem Freund). 2022 wurde dieser Forderung stattgegeben und Irisch zur Amtssprache Nordirlands ernannt – symbolische 100 Jahre, nachdem sie das im Zuge der Unabhängigkeit im Süden des Landes geworden war.

 

Dabei haftet dem Irischen eigentlich der Ruf an, eine verstaubte Sprache zu sein. Im Kneecap-Film, der im Januar beim US-amerikanischen Sundance Film Festival als erste irischsprachige Produktion gezeigt und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, liest DJ Próvaí, als er noch Lehrer und sein nackter Hintern noch kein Anlass öffentlichen Ärgernisses war, im Unterricht einen deprimierenden Beispielsatz vor. «Das Mädchen sticht im Regen Torf aus», sagt er und lässt den Satz von der Klasse wiederholen. Nach der Stunde sagt er im Flur zu einem Kollegen, dass sie dringend neue Lehrbücher bräuchten. Besonders im Süden wird die Sprache – zugespitzt gesagt – als eine angesehen, die aus nationalistischer Notwendigkeit heraus seit 1922 in Schulen unterrichtet, später aber von niemandem gesprochen wird – außer von vermeintlich alten Leuten auf dem Land, wo es noch einzelne sogenannte Gaeltacht (so werden die irischsprachigen Regionen in Irland genannt) gibt.

 

Kneecap hingegen sind jung, tragen Trainingsanzüge, haben Tattoos (auf Móglaí Baps Brust steht zum Beispiel 3CAG, also MDMA auf Kneecap-Irisch), wohnen in der Stadt, machen Party, nehmen Drogen – und sprechen dabei immer Irisch miteinander. «Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass man alt sein und auf dem Land leben muss, um Irisch zu sprechen», sagt Mo Chara. «Alle, die ich kenne, sprechen Irisch.» Die Band sei auch aus dem Bedürfnis entstanden, diese Identität im Irischen zu repräsentieren.

 

Am Anfang stand bei Kneecap ein ehemaliger Jugendclub im Westen von Belfast, den sie besetzten, um einen Ort zu haben, wo sie die Nacht mit Techno, traditioneller irischer Musik, MDMA, Guinness und Gras durchfeiern konnten, nachdem die Pubs dicht gemacht hatten. Wie eine solche Nacht hört sich auch ihr Debütalbum Fine Art an, dessen lose zusammenhängenden Lieder aber in einem imaginären Pub spielen. Zwischen den Stücken gibt es gesprochene Passagen, man hört darin, wie Leute nach draußen gehen, um eine Zigarette zu rauchen oder auf Toilette, um eine Line zu ziehen – ein Einblick in die Welt von Kneecap.

 

Die Idee zu einem Konzeptalbum stammt vom britischen DJ und Produzenten Toddla T, der dafür bekannt ist, Rap und Clubmusik zusammenzubringen und mit Kneecap deren Album im Verlauf von vier Wochen in London aufgenommen hat. Fine Art besteht aus zwölf Songs, ein paar Zwischenstücken und zwei Themen: Zum einen wollen Kneecap zeigen, dass irische Lyrics mit allen Arten von Musik funktionieren. Zum anderen ließen sie sich vom Dokumentarfilm Dancing on Narrow Ground inspirieren, der die nordirische Rave-Szene der Neunzigerjahre porträtiert, in der sich Jugendliche aus dem nationalistischen und unionistischen Lager auf einem abgelegenen Feld zum Tanzen trafen. Kneecap haben für das Lied Parful Interviews aus dem Film gesampelt, in der Hoffnung, damit den vereinenden Geist der damaligen Szene um sich selbst kultivieren zu können.

 

Es ist Kunst

Móglaí Bap nennt ein Beispiel: Am 12. Juli 2019, dem Orangemen’s Day, an dem anlässlich einer Schlacht im Jahr 1690 die Unionisten den Triumph der Protestanten über die Katholiken gefeiert wird, befand sich der Musiker in einer protestantischen Wohngegend in Belfast, als hinter ihm eine Gruppe Jungs begann, C.E.A.R.T.A. zu singen. Statt, wie Móglaí Bap befürchtete, ihm den Arsch zu versohlen, boten sie ihm Buckfast an, einen Likörwein mit Koffein aus England, den Kneecap als «flüssiges Kokain» beschreiben und selbst bei Auftritten auf der Bühne trinken.

 

Für die Band ist klar: Egal, auf welcher Seite der Friedensmauer man sich in Belfast befindet, die nationalistische und unionistische Nachbarschaften voneinander trennt, man gehört der Arbeiterklasse an, hat ähnliche Backgrounds, ähnliche Sorgen und Wünsche. «Die irische Sprache soll für uns alle sprechen», sagt Móglaí Bap. Trotz solcher brückenbildenden Bekenntnisse gibt es Kontroversen um Kneecap. Einmal performten sie Get Your Brits Out in einem Pub in Belfast, den Prinz William und Kate 24 Stunden zuvor besucht hatten. Im Film streitet sich Mo Chara außerdem mit einer protestantischen Frau, die er heimlich zum Sex trifft, weil diese sich von Get Your Brits Out angegriffen fühlt: «Was ist eigentlich euer Problem?», fragt sie. «Briten raus? Ich bin hier geboren!» Als Mo Chara ihr erklärt, dass es ihnen nicht darum gehe, Protestanten auszuschließen, sondern den britischen Staat aus einem vereinten Irland zu vertreiben, erwidert sie, warum Kneecap das nicht differenziert dargelegt hätten. Die Antwort: «Weil es ein Chorus ist und nicht die Oster-Proklamation von 1916.» Diese war einst in Dublin verlesen worden und hatte die Loslösung Irlands von Großbritannien verkündet.

 

Auch 25 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen ist eine Band wie Kneecap noch immer politisch provokant. Zuletzt haben britische Parlamentarier die Auszahlung von Fördergeldern an Kneecap verhindert, mit der Begründung, dass kein britisches Steuergeld an Personen verteilt werden sollte, die gegen das Vereinigte Königreich selbst seien. Kneecap wollen diese Entscheidung rechtlich. Und natürlich spielt die Band auch mit ihrem provokanten Potenzial. «Hauptsache, es wird über uns gesprochen», sagt Mo Chara. 2022 malten Kneecap ein Mural im Westen von Belfast, welches einen brennenden Landrover des Police Service of Northern Ireland (PSNI) zeigt, unterschrieben das aber mit dem Satz: «Níl fáilte roimh an RUC/The RUC are not welcome.» Dass sie die RUC (Royal Ulster Constabulary), also jene Polizeibehörde, die in Nordirland im Namen des britischen Staates agierte und während der Unruhen umstritten war, weil sie die Nationalisten besonders stark sanktionierte, erwähnten und nicht die PSNI, die nach dem Karfreitagsabkommen die RUC ersetzte, löste einen weiteren Eklat aus. Kneecaps Kommentar: «It’s fine art.» Es ist Kunst, und deshalb heißt jetzt auch ihr Debütalbum so.

 

Mit einem Landrover der PSNI ist die Band auch zur Weltpremiere von Kneecap beim Sundance Festival im Januar aufgefahren, darauf «Kneecap» in Kleeblatt-Emoji-Grün gesprüht. Der Film kommt im August in Irland und Großbritannien in die Kinos, ein deutscher Starttermin ist noch nicht bekannt. Kneecap spielen darin semifiktionale Versionen ihrer selbst, wofür sie sechs Monate Schauspielunterricht nahmen und Übungen zu absolvieren hatten, bei denen sie einander minuntenlang in die Augen starren mussten – «Fucking hell», sagte Mo zum britischen Magazin The Face über diese Erfahrung. In Nebenrollen sind Simone Kirby (Peaky Blinders, Alice in Wonderland) und Michael Fassbender als Eltern von Móglaí Bap zu sehen.

 

Der Film erzählt die nicht ganz wahre Entstehungsgeschichte von Kneecap, kombiniert mit Liedern, Animationen und der Erzählstimme von Mo Chara. Das Skript dazu haben Kneecap selbst geschrieben, mit der Hilfe von Regisseur Rich Peppiatt und ein paar Guinness-Pints. «Es hat etwas gedauert, bis wir gemerkt haben, dass wir nüchtern besser schreiben als besoffen», sagt Móglaí Bap. «Nach dem siebten Guinness schrieben wir an vier verschiedenen Skripts und stritten uns. Am nächsten Tag mussten wir alles löschen, weil nichts Sinn ergab und fingen wieder von vorne an.»

 

Was in ihrem Film wahr ist und was nicht, wollen Kneecap nicht im Detail verraten. «Das wäre ein Spoiler», sagt Móglaí Bap. Eins kann man aber mit Sicherheit sagen: Die Geschichte der Band taugt zu einem guten Film. Und die Fiktion macht den Film dann zum Fest.

 

 

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