
Text: Elena Lynch
Medium: NZZ am Sonntag Magazin, 2. November 2025
Das Setting ist immer dasselbe: In der Mitte steht ein kamelbrauner Ledertisch, bedeckt mit Büchern und Bildbänden, dahinter sitzt eine Frau mit langen dunklen Haaren in einem Ohrensessel, dasselbe Leder wie der Tisch, nur abgewetzter, links davon befindet sich ein mit beigem Wollstoff bezogenes Sofa.
Im Hintergrund tickt eine Uhr, dann ertönt das Klavierstück «Flocks of Light» von Yehezkel Raz. Dessen Harmonie wird jäh unterbrochen vom kalten Klingeln einer Gegensprechanlage. Die Frau im Sessel steht auf, geht zur Tür. Während die Kamera weiterhin das Wohnzimmer filmt – ein Buch von Sigmund Freud, ein Schwarz- Weiss-Foto einer Frau (ihre Mutter), ein Farbfoto eines Mannes (ihr Vater) und eines Mädchens (sie selbst) in einem Malatelier –, sagt sie: «Hi, come in!» Und dann, sobald sich der Gast in ihrem Londoner Wohnzimmer auf das Sofa gelegt hat, sagt sie: «Welcome to Fashion Neurosis.»
Die Frau ist Bella Freud, und die Szene ist das Intro ihres erfolgreichen Podcasts «Fashion Neurosis», den sie seit einem Jahr jede Woche auch als gefilmtes Gespräch auf Youtube ausspielt. Die Gäste auf Freuds Sofa sind so prominent wie ihre Vorfahren: Ihr Urgrossvater ist der Psychoanalytiker Sigmund Freud, ihr Vater der Maler Lucian Freud. Manche Podcast-Gäste sind langjährige Freundinnen und Freunde, wie das Model Kate Moss oder der Musiker Nick Cave, und andere gehören zur Familie, wie der Schuhdesigner Christian Louboutin, der Patenonkel ihres erwachsenen Sohnes.
Anders als ihr Urgrossvater mit seinen Patienten spricht die 64-jährige Bella Freud mit ihren Gästen vor allem über ein Thema: Mode und Identität. Und stellt viele Fragen. Welches Kleidungsstück haben Sie als Kind geliebt? Ziehen Sie sich schicker an, wenn Sie unsicher sind? Welcher Look löst eine allergische Reaktion in Ihnen aus? In welchem Kleidungsstück fühlen Sie sich frei?
Dieser Fokus kommt nicht von ungefähr. Bella Freud, geboren 1961 in London als Isobel Lucia Freud, studierte Mode in Rom, arbeitete als Assistentin für die Designerin Vivienne Westwood und gründete 1990 ihr eigenes Label Bella Freud. Sie entwirft Kleidung, hat Parfums hergestellt, Filme mit John Malkovich gedreht, eine Strickwarenlinie mit Nick Cave lanciert, und seit Oktober 2024 produziert sie den Podcast. Sie ist die Tochter von Lucian Freud und Bernardine Coverley sowie die Schwester der Schriftstellerin Esther Freud, die im Roman «Hideous Kinky» deren Kindheit in Marokko mit ihrer freigeistigen Mutter festhält. Das Buch wurde 1998 verfilmt, mit Kate Winslet in der Hauptrolle. Heute lebt Bella Freud mit ihrem Sohn im Westen von London, wo wir sie anrufen.
Frau Freud, was tragen Sie heute und warum? Das ist die Einstiegsfrage Ihres Podcasts. Nun stelle ich sie Ihnen.
Bella Freud: Weil wir über Zoom sprechen, habe ich heute Morgen überlegt, wie ich so viel wie möglich von mir in den Bildausschnitt hineinstilisieren kann. Ich liebe dieses Foto des französischen Dichters Arthur Rimbaud, das einzig überlieferte aus seiner Jugend. Man meint, aus der kleinen Aufnahme alles ablesen zu können, seine Brillanz und Zügellosigkeit, einfach, weil seine Haare strubbelig sind und seine Fliege leicht schräg sitzt.
Ovale Porträtfotos hatten in der Romantik das Ziel, das Gesicht, sprich den Geist, ins Zentrum zu rücken. Die Ränder sind abgedunkelt, es gibt also nichts, womit man von sich ablenken könnte. Ausser vielleicht mit extravaganter Bekleidung.
Es geht dabei nicht nur darum, was gut aussieht, sondern auch darum, was am meisten hergibt. Aus dieser Überlegung heraus habe ich mich heute für dieses hellblaue Seidenhemd entschieden, das ich sehr mag und oft trage. Hellblau war immer eine meiner Lieblingsfarben. Es ist, als hielte sie einen grelleren Farbton in sich gefangen. Hellblau ist nicht schrill, sondern sehr subtil und bringt andere Farben gut zur Geltung. Genauso wie Schwarz.
Tragen Sie deswegen eine schwarze Krawatte?
Nicht nur. Ich liebe Anzüge und Uniformen.
Das erklärt Kate Moss’ Spitznamen für Sie: «Suit Girl».
Stimmt. (Lacht.) Anzüge haben etwas Stetiges, schenken mir Sicherheit und Stabilität. Als Kind lebte ich mit meiner Mutter 18 Monate in Marokko, zog um, wechselte die Schule. Umgeben von Unbeständigkeiten wirkte so etwas wie eine Krawatte wie ein willkommener Anker auf mich. Abgesehen davon betonen Krawatten, Kragen und Revers diesen ovalen Ausschnitt, von dem wir sprachen, und rücken die Aufmerksamkeit stärker auf das Denkvermögen. Das mag ich, wahrscheinlich, weil ich mehr Vertrauen in meinen Intellekt und meine Sprache habe als in mein Aussehen. Heute Morgen erwog ich kurz, eine zerfledderte Trainerhose anzuziehen, entschied mich dann aber dagegen. Auch wenn auf Zoom nur mein Oberkörper sichtbar ist, wirkt sich das, was ich darunter trage, auf meine Wachsamkeit aus. Stimmt etwas mit meinem Outfit nicht, bin ich abgelenkt, weil ich ständig versuche, den Fehler zu finden. Ist hingegen alles aufeinander abgestimmt, kann ich konzentrierter auftreten. Meine Intelligenz steht mir voll zur Verfügung. Darin steckt für mich die Kraft von Kleidung.
Haben Sie die Kraft von Kleidung jemals zunichtegemacht, indem Sie die falschen Stücke kombiniert haben?
Ja, natürlich. Einmal entschied ich mich, diese tollen Schuhe zu tragen, die ich entworfen hatte, obwohl sie meinen Beinen nicht besonders schmeichelten. Bei der Arbeit konnte ich dann an nichts anderes mehr denken.
Dachten Sie, diese Schuhe ziehe ich nie wieder an?
In der Mode gibt es kein «nie». Manche Menschen tragen Dinge, die vielleicht als hässlich abgetan werden, und sehen darin sensationell aus.
Wenn es kein «nie» gibt, gibt es vielleicht ein «immer»? Etwas, das Ihrer Meinung nach immer funktioniert?
Das «nie» in der Mode ist, dass es kein «nie» gibt. Man glaubt, dass es so sei, und plötzlich steckt das, was noch nie war, voller Möglichkeiten, weil jemand es neu interpretiert hat. Dasselbe gilt für das «immer».
Eine weitere Frage, die Sie Ihren Gästen stellen: Wenn Sie eine Person attraktiv finden, aber nicht mögen, was sie trägt, fühlen Sie sich weniger zu ihr hingezogen? Wie ist das bei Ihnen?
Ich fühle mich meistens zu Männern mittleren Alters hingezogen, finde aber T-Shirts an ihnen furchtbar.
Was können die Männer mittleren Alters anstelle eines T-Shirts tragen, damit sie für Sie unwiderstehlich werden?
Ich liebe Jeans- oder Khakihemden an Männern. Das ist sexy.
Die britische Schriftstellerin Zadie Smith überlege sich morgens im Bett, welcher Lippenstift zum Tag passe, und stimme dann den Rest farblich darauf ab, erzählte sie in Ihrem Podcast. Wann und wo stellen Sie Ihr Outfit zusammen?
Unter der Dusche, dort lege ich – spätestens nachdem ich kalt geduscht habe – den Schalter um und denke: Was steht heute an? Wie ist das Wetter? Wie fühle ich mich? Welche Haltung möchte ich haben? Wie möchte ich auftreten? Dafür fange ich immer mit den Schuhen an.
Warum?
Je nach Schuh ist die Silhouette eine andere. Ich stehe und fühle mich anders. Trage ich einen Absatz, fühle ich mich mutiger und kombiniere ihn auch mit etwas anderem, als wenn ich einen Turnschuh tragen würde. Ich finde es interessant, wie ein Schuh mir das Selbstvertrauen verleihen kann, eine Seite von mir zu zeigen, die ich sonst verborgen halte. Ich habe einen Haufen Schuhe, doch ich bediene mich immer beim selben Repertoire. Meistens trage ich Turnschuhe, weil ich gern zu Fuss unterwegs bin.
Zu Christian Louboutin, dem französischen Schuhdesigner, sagen Sie, dass man mit Schuhen etwas Geheimnisvolles über sich selbst ausdrücken kann. Was meinen Sie damit?
Will ich zeigen, dass ich ein sexuelles Wesen bin, kriege ich das mit einem Schuh meistens ganz gut hin. Meine Lieblingssandalen von Christian Louboutin, die fetischisierend und zurückhaltend zugleich sind, zu einem Hosenanzug zu tragen, das sendet das Signal: Vielleicht habt ihr mich falsch eingeschätzt.
Sie erwähnten die Instabilität in Ihrer Kindheit. Ihr Modelabel «Bella Freud» kommt mit den Anzugs- und Punk-Elementen sehr britisch daher. War das eine bewusste Entscheidung? Eine Art, endlich anzukommen?
Ich habe nie versucht, bewusst britisch zu sein, zumal ich auch irische und jüdische Wurzeln habe und einen Vater, der in Berlin geboren und 1933 vor den Nazis nach London geflohen ist. Doch das Punk-Ding, ja, das ist mit London verbunden und ein wichtiges Element bei mir. Ich liebe zwar Paris, Couture und Chic, aber ich muss immer auch etwas Punkiges einbauen.
Warum?
Mit 17 Jahren begann ich, in Vivienne Westwoods Punk-Modeladen «Seditionaries» in London zu arbeiten.
Später wurden Sie ihre Assistentin.
In ihren Kleidern fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben mächtig. Davor war Sprache mein Mittel, um im Guten wie im Schlechten Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Als ich anfing, mich punkig anzuziehen, löste das bei den Leuten eine Reaktion aus, und zwar eine andere als bei meiner Mutter, die ein Hippie war und aufgrund ihres Kleidungsstils eher Spott auf sich zog. Punk schreckte ab – und das gefiel mir.
Woher rühren die Slogans, die Sie immer in Ihren Kollektionen haben, «Ginsberg is God» oder «Godard is Dog» zum Beispiel?
Ich mag Merchandise, an Konzerten kaufe ich mir meistens ein Band-Shirt. Und ich interessiere mich für Protestkultur und dafür, was an Demonstrationen auf Schildern oder Shirts steht und wie ein einziges Wort plötzlich eine ganze Bewegung vertreten kann. Zurück zu Ihrer Frage: Für den Kurzfilm «Hideous Man», den ich 2002 mit John Malkovich gedreht habe, wollte ich, dass jemand ein Slogan-T-Shirt trägt, wusste aber nicht, was oder wer da draufstehen sollte. Ich dachte an Jean-Luc Godard . . .
. . . den französisch-schweizerischen Filmemacher.
Oder Allen Ginsberg . . .
. . . den amerikanischen Dichter der Beat-Generation.
Dann erwähnte jemand, dass Fans von Eric Clapton T-Shirts trugen, auf denen «Clapton is God» stand, weil sie ihn für den besten Bluesgitarristen der Welt hielten. Da wusste ich: «Ginsberg is God.» Und weil meine Assistentin damals erkältet war und «God» wie «Dog» aussprach, wurde aus «Godard is God» eben «Godard is Dog».
Oft entstehen ikonische Dinge aus kleinen Missverständnissen oder Momenten heraus. Christian Louboutin erzählt im Podcast, dass die rote Schuhsohle, sein Markenzeichen, aus einer spontanen Eingebung entstanden sei: weil ihm die schwarze Sohle eines Prototyps nicht gefiel, strich er kurzerhand mit Nagellack die Sohle rot. Ein Element Ihres Labels ist die Zahl 1970. Wie fand sie den Weg auf Ihre Pullover?
Ich suchte nach etwas, als mir das Erscheinungsjahr eines Katalogs ins Auge stach: 1970. Ich vergrösserte die Zahl auf dem Kopierer und legte das Papier auf einen Pullover. Coco Chanel sagte einmal, dass eine Perlenkette wie ein Licht auf das Gesicht einer Frau scheine. So war es auch mit dem Papierstreifen, der wie eine punkige Perlenkette daherkam.
Wo waren Sie 1970?
Ha! Darüber habe ich noch nie nachgedacht, obwohl der Pullover seit 2010 ein Klassiker ist. 1970 war ich neun Jahre alt und in East Sussex. Es war ein Jahr voller Veränderungen, in dem meine Mutter, meine Schwester und ich ausschliesslich bei anderen Leuten wohnten, bestimmt zehnmal umzogen und «zu Hause sein» für mich vor allem «zusammen sein» bedeutete.
Deutlich mehr als über Ihre Mutter sprechen Sie im Podcast über Ihren Vater, Lucian Freud. Zum Autor Karl Ove Knausgård sagten Sie sogar, Sie seien besessen von ihm gewesen. Inwiefern?
Meine Kindheit bestand aus diesem Dreiergespann: Mutter, Schwester, ich. In meinem Umfeld gab es keine Männer, zumindest keine, zu denen ich hochgeschaut hätte. Mein Vater, der seine Vaterrolle nie traditionell dachte, war der erste Erwachsene, der mir Möglichkeiten aufzeigte. Er führte dieses freie, faszinierende Leben, war lustig und loyal und motivierte mich, mitzuhalten mit der Welt. Wir vertrauten und verstanden uns, immer. Alle anderen schienen mich mit ihren Einwänden und Einschränkungen nur aufhalten zu wollen.
Dennoch sagen Sie zu Knausgård, dass Sie erleichtert waren, als Ihr Vater starb, weil Sie damit von seiner Meinung befreit waren.
Obwohl ich mich von ihm geliebt fühlte, versuchte ich immer, ihn zu «lesen». Ich hatte miterlebt, wie er andere Menschen, insbesondere meine Mutter, im Stich gelassen hatte, und ich hatte immer Angst, dass er das mit mir auch machen würde. Ich wollte ihm gefallen, aber ich wusste auch, wenn ich versuchte, ihm zu gefallen, erreiche ich damit wahrscheinlich das Gegenteil. Das änderte sich erst, als er starb. Es war, als ob sein grösstes Geschenk an mich darin bestand, mich von seiner Meinung zu befreien.
Dem australischen Sänger Nick Cave erzählten Sie, dass Sie Ihre Arbeitsmoral von Ihrem Vater haben. Wie würden Sie diese beschreiben?
Als sein Modell erlebte ich ihn oft in Momenten, in denen er beim Malen ins Stocken geriet. Doch er blieb dran, bis er wieder weiterwusste. Ich lernte dadurch, dass nicht von Anfang an alles klar sein muss, sondern dass eine Ahnung erst mal ausreicht.
Was gab eigentlich den Impuls, Ihren Podcast zu starten?
Die Idee war immer, zu zeigen, wie interessant, pervers und fanatisch hartnäckig Menschen sind, die in der Modebranche arbeiten. Ursprünglich stellte ich mir «Fashion Neurosis» als Talkshow vor, die immer mit einem Film beginnt. Film ist immer eine Steigerung, und in der Modebranche muss man sich ständig steigern. Ich wusste nicht viel über Podcasts, bis mir klarwurde, dass ich mit diesem Format viel mehr Freiheit hatte.
Sie heissen mit Nachnamen Freud, machten einen von Ihrem Vater gezeichneten Windhund zum Logo Ihres Labels und machen jetzt einen Podcast, bei dem Sie Ihre Gäste sich auf ein Sofa legen lassen, als wären sie bei Ihrem Urgrossvater in der Psychoanalyse. Sehen Sie sich selbst in einer Familientradition stehen?
Als ich aufwuchs, war Freud vor allem ein Name, den man auf Englisch nicht aussprechen konnte. Mein Vater erzählte mir, dass er einmal zu diesem angesehenen Arzt gegangen sei und von dem gesagt bekommen habe: «Oh, Sie sind mit dem ‹great Froud› verwandt!» Mein Vater antwortete: «Die Grapefruit? Nein, mit der bin ich bestimmt nicht verwandt.» Seither wurde Sigmund Freud in unserer Familie nur noch Grapefruit genannt.
Wie wurde sonst über ihn gesprochen?
Gar nicht. Mein Vater erwähnte ihn, abgesehen von dieser Anekdote, nicht. Er wollte als Maler anerkannt werden, nicht als Enkel von Sigmund Freud. Ich tue es ihm gleich, indem ich mich auf meine Arbeit konzentriere, in der Hoffnung, dass sie für sich stehen kann. Mein Urgrossvater spielte lange keine Rolle in meinem Leben. Erst als ich 1983 anfing, Mode in Rom zu studieren, erhielt ich Reaktionen auf meinen Nachnamen. Alle lasen Freud zu der Zeit.
Die Suche nach sich selbst war offenbar damals schon im Trend.
Davor wurde ich auf meinen Nachnamen nur angesprochen, weil mein Onkel Clement Freud, einer der ersten Promi-Köche Englands, Werbung für Hundefutter machte und ich manchmal gefragt wurde, ob das etwas mit mir zu tun habe. Ich habe die Werbung nie gesehen, freute mich aber über den Ruhm, der sich darüber auf mich ableitete.
Als in Italien alle auf Freud abfuhren, liessen Sie sich davon anstecken?
Ich lese viel, vorwiegend Romane, aber von meinem Urgrossvater habe ich noch nie etwas gelesen. Einmal fing ich von ihm das Buch «Die Traumdeutung» an, las es aber nicht zu Ende. Ich setze immer wieder dazu an, seine Theorien zu lesen, aber kann mich dabei nie konzentrieren. Aber ich habe Comics über Sigmund Freud gelesen.
Sie lassen Ihre Gäste im Podcast auf einem Sofa liegen, ist das eine Hommage an ihn? Schliesslich hat er dieses Setting erfunden.
Offenbar fand er es anstrengend, seine Patientinnen und Patienten während der Sitzungen ständig anzuschauen, so dass er sich dazu entschied, sich hinter sie zu setzen. (Lacht.)
Sie hingegen haben Blickkontakt mit Ihren Gästen.
Zuerst lagen sie, wie bei meinem Urgrossvater, auch andersrum, aber das funktionierte filmerisch nicht. Aber es war ja auch nie als Therapie, sondern als Setting für ein Podcast-Gespräch gedacht. Und die Idee mit dem Sofa war einfach zu gut. Ich dachte: Ach, komm, mach es einfach, spiel damit!
Sie haben vorhin in Bezug auf Ihre Familie Einwände und Einschränkungen erwähnt, woran dachten Sie da?
Im Alter von 12 bis 16 Jahren hörte ich nur «Nein». Es ging viel darum, was man anziehen durfte und was nicht. Schwarz, damals meine Lieblingsfarbe, war an der Steiner- Schule, die ich und meine Schwester besuchten, zum Beispiel verboten. Und zu Hause wurden oft Vorurteile geäussert – mehr von meinem Stiefvater als von meiner Mutter – gegenüber allen, die sich schön anzogen oder gar aufbrezelten. Wer sich für Mode interessierte, galt als eitel und dumm, und wer versuchte herauszufinden, welcher Kleidungsstil zur eigenen Identität passt, wurde heruntergemacht. Es war schwer, sich davon zu befreien. Wie ich als Mensch zu sein hatte, wurde von anderen ausgelegt, das fühlte sich fürchterlich an. Was ich hingegen an meinem Vater mochte: Er hatte zwar klare Ansichten, aber eben nicht dazu.
Sie machen im Podcast die kreativsten Komplimente. Über Tilda Swinton sagen Sie zum Beispiel, dass sie eine grosse Kapazität für Freundschaft habe. Ist Komplimente geben etwas, das man in der Modewelt lernt?
Mode ist da, um Menschen hochzuheben und zu reflektieren, wie wunderbar sie sind. Es geht nicht nur darum, schön zu sein, sondern darum, die Vorzüge, die einem zur Verfügung stehen, zu erkennen und hervorzuheben. Als Modedesigner sind wir wie eine Ressource: Wenn du dich für uns entscheidest, dann haben wir dir all diese Dinge anzubieten und können deine Verbündeten werden.
Was ist das beste Kompliment, das Sie je bekommen haben?
Das weiss ich noch ganz genau: Ich war Anfang zwanzig, beim Mittagessen mit meinem Vater, und trug den ersten Anzug, den ich selbst geschneidert hatte. Es kam ein älterer schwuler Mann zu uns, der mich anschaute und sagte: «Du siehst aus wie ein Manet.» Ich hatte die Bilder des französischen Malers Édouard Manet immer geliebt, weil darin die Gesichter so schön gerahmt waren, und mich beim Entwurf meines Anzugs von ihm inspirieren lassen. Ich dachte: Wow, der hat komplett verstanden, was ich mit diesem Anzug will.