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Unentschlossene reisen von überallher zu Merle Bombardieri und zahlen bis zu 300 Dollar pro Sitzung, um sich bei ihr Rat zu holen.   © Tony Luong

«Die Frage lautet, welche Entscheidung man am wenigsten bereuen wird»

Seit über 40 Jahren berät die US-amerikanische Psychotherapeutin Merle Bombardieri Personen und Paare in der wichtigsten Entscheidung ihres Lebens: Kinder – ja oder nein?

Text: Elena Lynch

Medium: DIE ZEIT, 12. April 2025

 

Merle Bombardieris Buch «The Baby Decision. How to Make the Most Important Choice of Your Life» wurde 1981 veröffentlicht, ist aber aktueller denn je. Noch nie war die Frage «Will ich Kinder?» so kompliziert wie heute. Unentschlossene reisen von überallher nach Lexington bei Boston und zahlen bis zu 300 Dollar pro Sitzung, um sich bei Bombardieri Rat zu holen. Für diejenigen, die sich das nicht leisten können, nimmt sie sich seit 2020 in der Reddit-Gruppe «Fencesitter» («Unentschlossene») fünf Stunden pro Woche Zeit für Fragen. Auf die Gruppe ist sie gestoßen, als sie sich während der Pandemie selbst gegoogelt hat.

 

Sie sind 75 Jahre alt und haben zwei erwachsene Töchter. Haben Sie das Kinderkriegen je bereut?

Die ersten Jahre Elternschaft erschienen mir manchmal endlos, weil ich den Kindern so viel exklusive Aufmerksamkeit entgegenbringen musste. Es war aber nie so, dass ich dachte, ich hätte mich falsch entschieden. Ich war mir lediglich bewusst, dass, wenn ich nicht Mutter geworden wäre, ich zum Beispiel mehr Zeit für den Roman gehabt hätte, den ich damals schreiben wollte.

 

Haben sie den inzwischen fertiggestellt?

Nein. (lacht)

 

Stattdessen haben Sie ein Sachbuch geschrieben, das Frauen und Männern unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung helfen soll, zu entscheiden, ob sie Eltern werden wollen. Woher kam der Drang, über die Kinderfrage zu schreiben? Sie selbst hatten sich ja schon entschieden: Als The Baby Decision 1981 erschien, waren sie schon Mutter von zwei Töchtern.

Ich hatte nie das Gefühl, es kaum erwarten zu können, Kinder zu kriegen. Ich bin ein introvertierter Mensch, mag Ruhe und Rückzug, lese gern und treffe Freundinnen und Freunde lieber einzeln als in der großen Gruppe. Außerdem komme ich aus einer vierköpfigen jüdischen Familie, in der das Familienleben zwar genossen wurde, aber nie über allem stand. Mein Mann hingegen ist in einer großen italienischen Familie mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Familie hatte eine hohe Priorität für ihn. Als er mich fragte, ob ich ihn heiraten wolle, sagte ich zuerst nein, weil ich mir nicht sicher war, ob ich – wie er – Kinder wollte. Es dauerte anderthalb Jahre, bis ich zu einem Entschluss kam. Die Gespräche, die ich in dieser Zeit mit meinem Partner führte, fand ich faszinierend. Als ich anderen Therapeutinnen und Therapeuten von der Buchidee erzählte, sagten sie: «Auf unseren Sofas sitzen ständig Paare mit Karrieren, die uns fragen, ob sie Kinder bekommen sollen oder nicht.»

 

Das ist jetzt 44 Jahre her. Was ist so spannend an der Kinderfrage, dass Sie sich immer noch damit beschäftigen?

Die Frage lautet nicht nur: Kind oder kein Kind? Sondern auch: Wer bin ich als Individuum? Was ist mein Partner für eine Person, oder meine Partnerin? Wer sind wir als Paar? Aus welchen Klassen und Kulturen kommen wir? Wie stehen wir zu unseren Familien, Freundinnen und Freunden? Die Kinderfrage ist Philosophie. Sie bedeutet, dem Tod in die Augen zu schauen und sich zu fragen, wie man die Zeit zwischen jetzt und dem Lebensende verbringen will. Alles andere kann man rückgängig machen: Man kann sich scheiden lassen, seinen Job wechseln, in ein anderes Land ziehen, aber wenn man ein Kind hat, dann hat man es ein Leben lang. Es ist diese Unumkehrbarkeit, welche die Kinderfrage zur schwierigsten Entscheidung unseres Lebens macht.

 

Viele fürchten, einen Fehler zu machen, etwas zu bereuen oder zu verpassen – sowohl, wenn sie sich für als auch, wenn sie sich gegen ein Kind entscheiden.

Bei der Kinderfrage geht es nicht darum, zu fragen, ob man seine Entscheidung bereuen wird oder nicht. Das ist sinnlos. Die Entscheidung ist so folgenreich und die Vor- und Nachteile sind so gleichwertig überzeugend, dass man früher oder später mal Zweifel haben wird, egal, ob man sich für oder gegen Kinder entscheidet. Die zielführendere Frage lautet daher, welche Entscheidung man am wenigsten bereuen wird. Es gibt keine totale Gewissheit. Als Menschen werden wir, vor der Wahl stehend, immer ambivalent sein, weil wir wissen, dass es mehrere Möglichkeiten gibt.

 

Eine Entscheidung ist immer mit Verlust verbunden.

So ist es. Das Wort «entscheiden» stammt aus dem Lateinischen und bedeutet «sich von etwas trennen» – etwas, was uns heutzutage schwerfällt. Wenn Klientinnen und Klienten zu mir kommen, weil sie sich nicht entscheiden können, versuchen sie in Wahrheit einen Weg zu finden, die Freuden der Elternschaft zu erfahren und zugleich die Freiheiten der Kinderlosigkeit zu bewahren. Die meisten entstammen der Mittelklasse und haben das Glück, bisher viel Kontrolle über ihr Leben gehabt zu haben. Ich glaube, dass sie im Hinterkopf die Vorstellung haben, dass sie beides bekommen können, wenn sie nur lange genug warten.

 

Legen es Paare in ihren Dreißigern deshalb auf den «non-accidental accident» an, den nicht-so-ungewollten Unfall, wie Sie es nennen?

In der Reddit-Gruppe, in der ich aktiv bin, schreiben Leute, dass sie eine ungewollte Schwangerschaft bevorzugen würden, weil sie dann nicht die Verantwortung für die Entscheidung übernehmen müssten. Sie können die Angst nicht ertragen, eine Entscheidung zu treffen, die zu einem Leben führen könnte, das sie nicht mögen. Das Problem ist, dass sie so die Kontrolle über die Entscheidung und letztlich ihr Leben abgeben.

 

Und das ist schlecht?

Ja. Studien zeigen, dass wer sich bewusst für oder gegen etwas entscheidet, besser mit den darauffolgenden Unsicherheiten umgehen kann. Die Wahl zu haben und diese wahrzunehmen, statt abzugeben, ist die Grundlage fürs Glücklich- und Gesundsein. Dasselbe gilt für Kinderlose.

 

Inwiefern?

Kinderlose Menschen, die sich nie eindeutig gegen Kinder entscheiden und mit Mitte 40 merken, dass sie nun definitiv nicht mehr Eltern werden, hätten in der Zwischenzeit vielleicht schon einen Doktortitel erlangt, statt sich jahrelang alles offenzuhalten. Wer eine Entscheidung vor sich herschiebt, läuft Gefahr, sie nie richtig loszuwerden.

 

Von all den Fragen, die Sie in den vergangenen fünf Jahren auf Reddit beantwortet haben: Welche wurde Ihnen am meisten gestellt?

Eine der häufigsten Fragen ist: Was sollen wir tun? Und zwar von Personen, die sich in einer Beziehung befinden und mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin uneins darüber sind, ob sie ein Kind haben wollen oder nicht. Diese Situation kann als sehr existenziell empfunden werden, auch wegen der Angst, dass man sich trennen könnte, wenn man sich nicht einig wird.

 

Wie findet man als Paar aus diesem «Tauziehen», wie Sie es nennen, wieder heraus?

Das Wichtigste ist, darauf zu vertrauen, dass es eine Lösung gibt. Meistens weiß man zu wenig über den Lebensentwurf des anderen, um ihm etwas abgewinnen zu können. Darum bitte ich Paare immer, dazu zu recherchieren und sich da dann richtig reinzudenken. Nehmen wir ein heterosexuelles Paar, bei dem sie gar keine und er gleich drei Kinder will. Nach der Recherche kommt raus: Sie könnte sich vielleicht vorstellen, eins zu haben, aber auf keinen Fall drei. Für viele Paare, mit denen ich zusammengearbeitet habe, war das der Kompromiss, auf den sie sich schlussendlich geeinigt haben: ein Kind statt keins oder mehr als eins.

 

Also entscheiden sich Ihre Klientinnen und Klienten am Ende eher für als gegen ein Kind?

Vor 40 Jahren haben sich vielleicht 80 Prozent für Kinder und 20 Prozent dagegen entschieden. Heute sind es eher 65 Prozent respektive 35 Prozent. Kein Kind zu haben, ist gängiger geworden.

 

Wie erklären Sie sich die sinkenden Geburtenraten in westlichen Industrienationen wie den USA und Deutschland?

Als ich mich in den Achtzigerjahren auf die Kinderfrage spezialisierte, gingen die meisten Menschen davon aus, dass sie Kinder haben würden. Heute können sich immer mehr Menschen vorstellen, kinderlos zu bleiben – sei es, weil sie sich auf etwas anderes als Kinder konzentrieren möchten, Angst vor der Schwangerschaft oder dem Mental Load haben oder ihr Blick in die Zukunft wegen Klimawandel und Politik getrübt ist. Manche meiner Klientinnen und Klienten wollen zum Beispiel erst wieder über Kinder nachdenken, wenn Donald Trump nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten ist.

 

In der Wahrnehmung von Elternschaft hat eine Verschiebung von «Kinder sind das Beste» hin zu «Kinder können die Hölle sein» stattgefunden, besonders bei Frauen. Warum hat Mutterschaft heute so einen schlechten Ruf?

Weil in der Popkultur darüber ein negatives Narrativ verbreitet wird. Für einen Artikel auf Vox wollte eine US-amerikanische Journalistin von Müttern wissen, warum sie nicht über die schönen Seiten von Mutterschaft sprechen. Viele von ihnen gaben verlegen zu, dass sie mit ihren Partnern ziemlich gleichberechtigt zusammenleben oder es gar genossen, Mutter zu sein, es aber nicht wagten, das öffentlich zu sagen. Weil es unsensibel wirken könnte gegenüber Müttern, die nachts kein Auge zu tun oder kurz vor der Scheidung stehen, oder weil es feministische Positionen relativieren könnte. Dabei wäre es für Unentschlossene wirklich wichtig, auch das Gute berichtet zu bekommen.

 

Gibt es eine Übung, die bei der Entscheidungsfindung hilft?

Ja, zum Beispiel den Stuhldialog. Der geht so: Man stellt zwei Stühle – der eine steht für die Pro-, der andere für die Kontrastimme – einander gegenüber, setzt sich abwechselnd auf den einen und den anderen und lässt die Stimmen miteinander streiten. Zum Beispiel: «Natürlich will ich Kinder! Warum reden wir überhaupt darüber?» Oder: «Aber was ist mit meiner Karriere? Soll meine Selbstverwirklichung auf der Strecke bleiben?» Wichtig ist, dass die Fetzen fliegen!

 

Warum?

Damit die Stimmen wirklich unterscheidbar werden. Dasselbe gilt für die Tagebuchübung: Man führt ein Tagebuch über die Kinderfrage und benutzt dabei verschiedenfarbige Stifte, um die Gedanken zu den beiden Optionen klar auseinanderhalten zu können. Am besten macht man die Übungen so lange – gern auch mit zeitlichen Abständen –, bis man spürt, dass man sich in dem einen Stuhl, in der einen Stimme wohler fühlt.

 

Viele Personen und Paare schrecken vor dem Kinderkriegen auch zurück, weil sie denken, dass wenn sie eins haben, sie automatisch ein zweites bekommen sollten, weil Kinder ohne Geschwister einsam oder egoistisch sind. Richtig oder falsch?

Für mich sind das Mythen, und die Wissenschaft gibt mir recht. Einzelkinder haben keine Nachteile in ihrer Entwicklung. Es gibt Studien, die zeigen, dass Einzelkinder von ihrer Klasse regelmäßig zu den beliebtesten Mitschülerinnen und Mitschülern gewählt werden, weil sie so gut mit anderen auskommen. Und dass sie weniger wettbewerbsorientiert sind als Kinder mit Geschwistern. Ja, Eltern von Einzelkindern müssen sich mehr bemühen, um ihrem Kind ein Sozialleben zu bieten, das ihm Spaß macht. Aber was ist anstrengender: Ein Kind ab und zu von A nach B zu fahren, oder einen Zweijährigen und eine Vierjährige zu Hause zu haben, die sich ständig streiten?

 

Gibt’s einen guten Grund, ein zweites Kind zu haben?

Paare, welche die Entscheidung für das erste Baby mit Bedacht getroffen haben, sind beim zweiten Kind im Vergleich oft fast fahrlässig. Sie gehen davon aus, dass, wenn ein Kind Spaß gemacht hat, zwei Kinder doppelt so viel Vergnügen bedeuten. Das ist nicht garantiert. Der Arbeitsaufwand wird aber mit Sicherheit ansteigen. Der einzig gute Grund für ein zweites Kind ist der starke Wunsch danach. Und selbst dann sollte man sich fragen, ob man das Geld und die Geduld dafür hat sowie was man sich von einem zweiten Kind erhofft, das einem das Erste nicht geben kann.

 

Es klingt, als seien Sie fast skeptisch gegenüber zweiten Kindern. Warum haben Sie ein zweites bekommen?

Mein Mann und ich entschieden uns für ein zweites Kind, weil wir uns am ersten sehr erfreut hatten und dachten, dass wir die größere Familie genießen würden. Ich hebe die Möglichkeit der Ein-Kind-Familie so stark hervor, weil ihr so viele Vorurteile entgegengebracht werden. Dabei höre und lese ich dauernd, dass Eltern von Einzelkindern das Beste aus beiden Welten haben.

 

Einer Ihrer Leitsprüche ist: 38 is great! Warum ist 38 ein gutes Alter, um Kinder zu kriegen?

Für eine Frau, die weiß, dass es für sie schwierig werden könnte, schwanger zu werden, gilt dieser Grundsatz natürlich nicht. Doch abgesehen davon: Mit 18 Jahren ist man erwachsen, bis 38 hat man also 20 Jahre Zeit, um zu reisen, zu studieren, umzuziehen, einen Beruf, einen Partner oder eine Partnerin zu finden, Geld zu sparen, sich selbst kennenzulernen und eine eigene Sicht aufs Leben zu entwickeln. Aus entwicklungspsychologischer Sicht sind die späten Dreißiger eine gute Zeit, um Kinder zu kriegen.

 

Sie glauben, dass die Angst vor der «tickenden Uhr» mit der Angst vor dem Tod zusammenhängt. Können Sie das erklären?

Unsere Fruchtbarkeit und unser Leben sind endlich, zumindest bei Frauen, und können uns zur Frage führen, was wir vorher noch erleben wollen. Das «was noch» ist wichtig, weil es sicherstellt, dass man die Dinge, die man vor dem Kinderkriegen, vor dem Tod machen möchte, auch angeht.

 

Viele junge Leute denken, sie müssten, bevor sie Kinder kriegen, alles geregelt und geschafft haben, weil sie danach nur noch diese eine einzige Sache sein werden: ein Elternteil.

Das ist eine düstere Auffassung vom Älterwerden. Als ob man im Alter nichts mehr anreißen könnte! Schauen Sie mich an: Ich bin 75 Jahre alt und gebe internationalen Medien Interviews. Das Leben ist wie eine Steppdecke, mit mehreren Feldern, in denen gleichzeitig Entwicklungen stattfinden können. Darum ist die Frage «Was ist mir neben einem Kind noch wichtig?» so signifikant. Es gibt dieses Konzept, der anderen Seite etwas Zeit zu stehlen. Wenn man ein Kind haben wird und gern meditiert, kann man sich eine Stunde pro Tag dafür rausnehmen? Wenn man trotz bewusster Kinderlosigkeit gern Zeit mit Kindern verbringt, kann man vielleicht am Leben der Kinder von Freundinnen oder Verwandten teilnehmen? Es geht darum, sich zu fragen, was man am meisten vermissen würde, und dann dafür zu sorgen, dass man weiterhin ein Stück davon abbekommt.

 

Die Sache mit Entscheidungen ist, dass man nie weiß, wie es wirklich werden wird. Vor allem beim Kinderkriegen. Wie geht man mit dieser Unsicherheit um?

Am besten, man stellt sich vor, wie man im Publikum eines Theaters sitzt und eine angenehme Aufregung verspürt, wenn der Vorhang aufgeht – man weiß nicht, ob man das Stück mögen wird oder nicht, aber man will auf jeden Fall wissen, wie es ausgeht. So ähnlich ist es mit der Kinderentscheidung: Man muss versuchen, die Angst in Antizipation umzuwandeln.

 

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