Text: Elena Lynch
Medium: annabelle, Nr. 13/2024
Sylvia Saunders steht im Regieraum eines Tonstudios in Hamburg. Die Musikaufnahmen sind unterbrochen worden, weil ihr vom Schlagzeugspielen das rechte Handgelenk wehtut. Sie sagt: «Ich habe keinen Mann mehr, an dem ich üben kann, wisst ihr?» Mary McGlory schaut schockiert in die Runde und sagt: «Das habt ihr nicht gehört!»
So ist das mit den beiden: Saunders sorgt für Auflockerung, McGlory für Anstand. Die eine liess ihren Mann einen Stripclub führen, die andere wollte Nonne werden. Die eine umarmt einen bei der ersten Begegnung, die andere hält die Hand hin.
Saunders und McGlory sind beide 78 Jahre alt, Witwen und die letzten lebenden Mitglieder der ersten Frauenrockband Grossbritanniens, der Liverbirds. 1964 kamen sie mit Pamela Birch, genannt Pam, und Valerie Gell, genannt Val, den zwei anderen, inzwischen verstorbenen Bandmitgliedern, aus Liverpool nach Hamburg. Wie die Beatles sollten sie im berühmten hiesigen Star-Club spielen.
Mary McGlory ist bis heute in der Stadt geblieben. Seit Anfang der Achtzigerjahre wohnt sie hier in einem herrschaftlichen Reihenhaus aus der Jahrhundertwende, mit Giebel, Erker, Garten. An der Eingangstür klebt ein Saugnapfschild, das für die Heckscheibe eines Autos gedacht wäre, und die Aufschrift trägt: «L.F.C. (Liverpool Football Club) Little Liverbird on Board». Abgebildet ist ein Vogel. Er ist das Wahrzeichen ihrer Heimatstadt – und Namensgeber der Liverbirds.
Das Saugnapfschild an der Tür kündigt an, was im Haus wartet – Grossbritannien überall: winkende Queen-Figuren, Magnete und Tassen mit Prinz William und Prinzessin Kate, Sitzkissen, auf denen die königliche Garde abgebildet ist. Aber auch eins, das der Cavern Club ziert, wo Mary McGlory mit 16 Jahren zum ersten Mal die Beatles gesehen hatte und den Entschluss fasste, selbst Musikerin zu werden.
Von 1962 bis 1968 waren die Liverbirds als Beatband aktiv, was sich durch mindestens zweistimmigen Gruppengesang und zwei Gitarren (beides durch Birch und Gell abgedeckt) definierte sowie durch eine Bassgitarre (McGlory) und ein Schlagzeug (Saunders). Sie nahmen zwei Alben auf, landeten in den deutschen Charts, spielten mit den bekanntesten Bands dieser Zeit, mit den Kinks, den Rolling Stones, Chuck Berry. Diese Namen kennen alle – doch keiner kennt die Liverbirds. Weil sie Frauen sind? Wer an Frauen und Musik in den Sechzigerjahren denkt, sieht kreischende Groupies mit schwarzumrandeten Augen und geföhnten Haaren vor sich, keine Musikerinnen.
Sylvia Saunders und Mary McGlory haben nun, Jahrzehnte später, damit begonnen, dieses Bild neu zu zeichnen. Sie berichten, wo sie waren, was sie taten, wen sie trafen – und schreiben so die Musikgeschichte neu. Den Anstoss dazu gab das Musical «Girls Don’t Play Guitars», das die Geschichte der Liverbirds erzählt, 2019 am Liverpool Royal Court Theatre uraufgeführt und diesen September wiederaufgenommen wurde. Dann drehte die «New York Times» einen Kurzdokumentarfilm über die Liverbirds und plötzlich wollten sieben Filmunternehmen die Geschichte der Band adaptieren. Dieses Jahr sind ihre Memoiren «The Liverbirds – Our Life in Britain’s First Female Rock’n’Roll Band» auf Englisch bei Faber & Faber erschienen. Ende September erschien ihr Album «Anthology» mit den bekannten, neu gemasterten Liverbirds-Songs und zwei bisher unveröffentlichten Stücken. Ihre Cover-Version des Hits «Peanut Butter» von The Marathons landete auf dem Soundtrack des Films «Drive-Away Dolls» von Ethan Coen. Ausserdem soll ein Biopic in Produktion gehen und im nächsten März ihr drittes Album erscheinen, für das Saunders und McGlory seit 1966 zum ersten Mal wieder zusammen in Hamburg im Studio stehen und Witze über eingerostete Handgelenke machen.
Bevor ihr Handgelenk versagt hat, sass Saunders am Schlagzeug und schüttelte ihren Kopf zum Rhythmus, wie früher, als ihr die anderen während der Konzerte zuriefen: «Schüttle deinen Kopf, Sylvia!» Es fühle sich an, als sei sie wieder 16, sagt Saunders, nur der Körper erinnere sie daran, dass dem nicht so ist. Im Frühstücksfern- sehen der BBC scherzte Saunders, dass sie wegen des vielen Kopfschüttelns inzwischen eine chronische Wirbelentzündung im Nacken habe.
Wie war das denn, als sie 16 waren? Saunders sagt: «Keine von uns war besser dran als die andere.» Birch, Gell, McGlory und Saunders wuchsen als Kinder der Arbeiterklasse in Liverpool auf, kleine englische Reihenhäuser, wenig Geld und beschränkte Möglichkeiten. Mary McGlory nahm als Mädchen an, dass sie in Liverpool bleiben, einen einheimischen Mann heiraten und so viele Kinder wie ihre Mutter (sieben!) haben oder Nonne werden würde. Für Frauen gab es zu der Zeit ausser Krankenschwester, Lehrerin oder Hausfrau kaum Karrieremöglichkeiten. Die meisten Mädchen träumten davon, Sekretärin zu werden. Aber eine Band zu gründen und Rockmusik zu machen?
Erst hochstapeln, dann lernen
Anfang der Sechziger gab es in Liverpool viele Bands, alle mit männlichen Mitgliedern und unterschiedlichem Erfolg. «Die Jungs konnten tun und lassen, was sie wollten, ein Instrument lernen, eine Band gründen», sagt Saunders im Buch. «Für uns schien es nicht dieselben Möglichkeiten zu geben. In der damaligen Musikszene sah man kaum ein Mädchen Gitarre spielen.»
Weil Liverpool einen Hafen hatte, kamen die neusten Platten aus den USA dort als Erstes an. Die Stadt entwickelte sich in den Sechzigerjahren zum Zentrum britischer Popmusik und wurde wichtiger als London.
Liverpool war lebendig, in jedem Klub und Keller wurden Konzerte gespielt. Der Trubel entsprang dem Zeitgeist: Die Nachkriegsgeneration wollte andere Kleidung tragen (Jeans!) und Musik hören (Rock’n’Roll!) als ihre Eltern, sich loslösen von dem, was war, frei sein, den Krieg vergessen, ihre eigene Kultur haben. Und die Musik aus Übersee, wo zu der Zeit ohnehin alles besser schien, weil nicht kriegszerrüttet, versprach genau das: Aufbruch. Dokumentiert wurde das alles vom Musikmagazin «Mersey Beat», das von 1961 bis 1969 die angesagtesten Acts abhandelte und mit einer Auflage von 250 000 Exemplaren als Teenager-Bibel galt.
Als sich Mary McGlory 1962 nach einem Konzert der Beatles im berühmten Cavern Club entschloss, selbst Musik zu machen, «um Teil dieser Szene zu sein», liess sie sich mit ihrer brandneuen Band (in der ersten Auflage bestand diese vorwiegend aus Mary und ihren Cousinen) als Allererstes für das «Mersey Beat» fotografieren und interviewen. Zu dem Zeitpunkt besassen Mary und die damaligen Bandmitglieder zwar einen Bass, zwei Gitarren und ein Schlagzeug, hatten aber keine Ahnung, was sie damit anfangen soll- ten. Keine der vier konnte ein Instrument spielen. Lange Zeit beschränkten sie sich darauf, ihre Gitarrenkoffer hochstaplerisch herumzutragen, von den Türstehern für den Act des Abends gehalten und gratis reingelassen zu werden. Als sich Druck bezüglich eines ersten Auftritts aufbaute, tauchten sie für ein paar Wochen unter, in der Hoffnung, vergessen zu werden.
Doch dann klingelten Valerie Gell und Sylvia Saunders an der Tür von Mary McGlory. Sie hatten den Artikel im «Mersey Beat» gelesen und wollten der ersten und einzigen Frauenrockband Grossbritanniens beitreten. Dass die Mitglieder von The Squaws, wie die Band damals hiess, allesamt gar kein Instrument spielen konnten, f log bei der ersten Probe auf. Aber Valerie Gell hatte Gitarre spielen gelernt und brachte es nun den anderen bei.
Ab da gab es für Saunders und McGlory nur noch die Band. 1963 hatten sie erste Auftritte und lernten im Backstagebereich des Cavern Clubs die Beatles kennen, die schweissnass nach einem Konzert nur in Unterhosen in der Umkleide standen. Eine Frankenrockband? «Was für eine tolle Idee», soll Paul McCartney gesagt haben. John Lennon jedoch befand: «Mädchen spielen nicht Gitarre.»
Dem zeigen wir es, dachten sie, bekamen einen Booker, kündigten ihre Jobs und traten schon bald im Fernsehen auf. Dieser Durchbruch löste auch die letzten Vorbehalte ihrer Eltern auf, die sich aber sowieso in Grenzen gehalten hatten: Die Liverbirds übten jede Woche bei jemand anderem zuhause. Weder die Eltern noch die Nachbar:innen beschwerten sich dar- über. Die Mütter boten den Mädchen während der Proben Tee und Sandwiches an und die Kinder aus dem Quartier forderten offene Fenster, damit sie draussen zuhören konnten.
Im selben Jahr traten die Liverbirds mit den Rolling Stones in Nuneaton auf, einer Stadt in Mittelengland. Diese hatten damals soeben ihre zweite Single «I Wanna Be Your Man» herausgebracht und waren noch weit entfernt davon, Weltstars zu sein. Als während des Konzerts McGlorys Basssaite riss und sie zu weinen anfing, sprang der Bassist der Rolling Stones, Bill Wyman, auf die Bühne und gab ihr seinen Bass. Zum Ende des Songs hatte er schon eine neue Saite auf ihr Instrument gefädelt. Diese Saite hat sie bis heute.
Während McGlory die Rolling Stones im Buch als «liebe und lässige Londoner» beschreibt, hatte Keith Richards 2011 in seiner Biografie «Life» deutlich wertendere Worte für die Liverbirds gefunden: Er bezeichnet sie als weibliche Beatles und «echte Schlampen». Nun, man sieht, was man sehen will. Mary McGlory zumindest wollte zu dem Zeitpunkt ja noch Nonne werden.
Endlich ein Hit
McGlory hat sich gerade im oberen Stock ihres Hauses fürs Fotoshooting umgezogen, nun steht sie, mit weissem Hemd und dunklem Anzug, im Eingangsbereich. Ein grosses Bild von Liverpool hängt hier und rundherum leuchten die Wände knalltürkis. Jedes Zimmer in diesem feudalen Haus hat eine andere Farbe. Das Esszimmer ist orange, die Küche rot gestrichen.
Vier Monate bevor die Kinks 1964 mit «You Really Got Me» in Grossbritannien einen Nummer-eins-Hit landeten, traten die Liverbirds mit ihnen in Frodsham auf. Der Frontmann der Kinks, Ray Davies, stellte ihnen die Gitarristin Pamela Birch vor: Eine zwei Jahre ältere Blondine mit Musik- talent und Modebewusstsein, die die 22 Kilometer Heimweg nach Liverpool damit verbrachte, im Tourbus mit Ray Davies rumzumachen. «Wie wir herausfinden sollten, konnte Pam fast jeden Mann haben, den sie wollte», sagt McGlory. An diesem Abend entschied sie sich für Ray Davies und an einem anderen, Gerüchten zufolge, für Mick Jagger. Und sie entschied sich – und diese Bindung sollte wohl am längsten halten – auch für die Liverbirds.
Nachdem die Beatles mit ihrem Song «I Want Hold Your Hand» 1964 weltberühmt wurden, weil er in den USA auf Platz eins der Charts landete, wollten alle Veranstalter eine Band aus Liverpool buchen – und alle Musiker nach Hamburg, wo die Beatles zwischen 1960 und 1962 aufgetreten waren und den internationalen Erfolg fanden. Auch die Liverbirds wollten nach Deutschland, sodass sie – noch bevor Birch der Band beigetreten war – 1963 an einem Casting teilgenommen hatten und für ein paar Gigs im Star-Club gebucht worden waren.
Als die Liverbirds 1964 in Hamburg ankamen, der Schock: Der Star-Club befand sich nahe der Reeperbahn, umgeben von Bordellen und Stripclubs. Als McGlory neben dem Star-Club eine katholische Kirche entdeckte, war sie besänftigt. «Wir haben uns einfach darauf eingelassen und uns völlig vorurteilsfrei mit Sexarbeiterinnen abgegeben», sagt Saunders, die damals 17 Jahre alt war und bald den deutschen Schlagersänger Drafi Deutscher datete, der zwei Monate, nachdem sie seinen Heiratsantrag ablehnte, mit dem epischen Lied «Marmor, Stein und Eisen bricht» weltberühmt wurde. Nach einer Woche im Star-Club wollte dessen Besitzer die Liverbirds managen und auf Tournee schicken. Erste Station war die Deutschlandhalle in Berlin, als Vorband von Chuck Berry, dem Erfinder des Rock’n’Rolls. Saunders sagt: «Er war ein Gott für uns.» Wie die Beatles coverten auch die Liverbirds Lieder von Chuck Berry: «Johnny B. Goode», zum Beispiel, oder «Roll Over Beethoven». Die meisten Musiker:innen traten damals mit Covers auf. Sodass die Liverbirds – abgesehen von «Leave All Your Loves in the Past», «It’s Got to Be You» und «Why Do You Hang Around Me», die Birch für die Band geschrieben hatte – ausschliesslich Songs von anderen spielten.
1964 nahmen sie ihr erstes Album «Star-Club Show 4» auf, landeten mit ihrem Cover von «Diddley Daddy» auf Platz fünf der deutschen Charts und hatten damit endlich einen Hit. Ab da warteten Fans mit Autos vor ihrem Hotel auf sie, in der Hoffnung, sie zum Star-Club oder an die Ostsee fahren zu können.
Als reine Frauenband galten die Liverbirds als Sensation, ausser Goldie and the Gingerbreads aus New York City hatten sie in der Kategorie keine Konkurrenz. Es gab zwar Frauen, die mit Männern in einer Band spielten. Aber eine Rock’n’Roll-Band, die nur aus Frauen bestanden habe, sagt McGlory, sei ihnen nie begegnet.
Zwei Jahre später, 1966, veröffentlichten die Liverbirds ihr zweites Al- bum «More of the Liverbirds» und gaben Konzerte in der Stadthalle in Wien, im Tivoli-Garten in Kopenhagen, auf der Waldbühne in Berlin, Letzteres vor 22 000 headbangenden Zuschauer:innen.
Während Mary McGlory nun auf Saunders wartet, die sich im oberen Stock des Hamburger Hauses für das Fotoshooting zurechtmacht – bedeutend länger als zuvor McGlory –, erzählt sie, wie Pam Birch kurz nach ihrem Beitritt schnell die modische Leitung der Band übernommen hatte. Sie sorgte dafür, dass die Liverbirds ihren Sechzigerjahre-Signature-Look (Hemd, Krawatte, Hose) fanden. Und sie erinnert sich: «Alle wollten in den Sechzigerjahren gerade Haare haben. Hatte ich aber nicht, also liess ich sie mir von Pam vor dem Schlafengehen mit Klebeband flachkleben. Am Morgen waren sie wieder wellig und hafteten am Kopfkissen.» Oder sie probierten falsche Wimpern aus und bekamen ihre Augen nicht mehr auf.
Nun kommt Sylvia Saunders die Treppe herunter, macht Fanfarengeräusche und lacht ihr lautes Lachen. Dann stehen sie nebeneinander. McGlory mit rotblondgefärbten Haaren und schrägem Pony, Saunders mit aschblondgefärbten Haaren und geradem Pony – und wie damals, in aufeinander abgestimmten Outfits: schwarze Hose, schwarzes Jackett, weisse Bluse, Brosche. Die zwei letzten Liverbirds.
Es sei der Erfolg der Beatles gewesen, der ihnen die Hoffnung gegeben habe, dass – auch wenn man aus einem ärmeren Elternhaus stammte – ein anderes Leben möglich war, sagt Saunders im Buch. Die Liverbirds hatten dieses andere Leben und es endete – symptomatisch für ein Frauenleben in dieser Zeit –, als sie von den Verpflichtungen des Frauenseins eingeholt wurden: 1967 wurde Saunders schwanger und musste auf ärztliche Anweisung mit dem Schlagzeugspielen aufhören. Gleichzeitig heiratete Gell einen Mann, der als schönster Münchner galt, bevor er einen Autounfall hatte, wonach er gelähmt und pflegebedürftig war. Nach einer Tournee in Japan, ohne Saunders und Gell, wurde die Band aufgelöst.
Während die Beatles bis 1974, die Kinks bis 1996 und die Rolling Stones bis heute weitermachten, war für die Liverbirds 1968 Schluss. Saunders sagt: «Die Männer, die mit uns im Star-Club auftraten, hatten alle Frauen und Kinder zuhause. Die hat das nicht aufgehalten.» Die Liverbirds schon. Frauen in Bands waren ungewöhnlich, Frauen mit Familien in Bands? Unmöglich.
Wie es weiterging – und weitergeht
Aber wie weiter, wenn der beste oder wenigstens der bedeutendste Teil des Lebens mit Anfang zwanzig bereits vorbei ist? Die Leben der Liverbirds sind nach der Auflösung sehr unterschiedlich verlaufen: Die einen stiegen auf, die anderen ab. Die einen hatten Partner, Perspektiven, lange Leben, die anderen nicht.
McGlory lernte in Hamburg einen Mann kennen, legte daraufhin ihr keusch-katholisches Dasein ab, hatte eine Affäre, gebar das erste von ihren zwei Kindern, noch bevor sie verheiratet war, trat aus der katholischen Kirche aus. Sie unterstützte ihren lieder- schreibenden Mann, indem sie 1977 unter anderem die Zeile «Baby, I want to keep my reputation/I’m a sensa- tion/You try me once you’ll beg for more» für den Song «Yes Sir, I Can Boogie» beisteuerte, der zum Evergreen wurde. Ihr repräsentatives Reihenhaus in der Reichengegend Hamburgs konnten sie und ihr Mann vor allem wegen dieses Mitwirkens am Song kaufen. McGlory nennt es das «Yes Sir, I Can Boogie»-Haus.
Als sie auf dem Weg zum Fotoshooting im Taxi von ihrem Leben erzählt und den Konzerten, zu denen sie dank ihren Kontakten in die Hamburger Musikszene eingeladen wird, sagt Saunders: «You’re a lucky girl.» Sie sagt es ohne Neid. Auch wenn ihr eigenes Leben weniger einträglich gewesen war.
Saunders zog nach der Auflösung mit ihrem Mann von Hamburg zurück nach Grossbritannien. Bekam zwei Kinder. Ihr Mann arbeitete für einen Stripclub, sie tagsüber im Wettbüro. 1981 zog die Familie nach Benidorm in Spanien, wo sie eine Bar mit Livemusik eröffnete, im Scheinwerferlicht stand, Freund:innen fand und – mit einem Unterbruch – bis zum Tod ihres Mannes blieb. Heute lebt sie wieder in Liverpool, in einer Einzimmerwohnung, und hat gerade genug Geld zum Leben.
Val Gell fiel, nachdem sie realisierte, was sie für ihren Mann aufgegeben hatte, erst in eine Depression, dann in die Alkoholabhängigkeit und Obdachlosigkeit. Irgendwann liess sie ihre Gitarre reparieren. Sie hatte sie, nachdem sie wegen ihres Mannes nicht mit den Liverbirds durch Japan touren konnte, zerkratzt und jahrzehntelang nicht mehr angefasst. Sie fing wieder an zu spielen, verliebte sich in eine Frau, zog mit ihr aufs Land und starb 2016 an Krebs.
Pam Birch arbeitete bei Warner Records, als DJ und in Bars, bezog Sozialhilfe, konsumierte Kokain, trank viel und lebte in der Vergangenheit. Sie wollte immer, dass die Liverbirds wieder zusammenkommen. Mit Ausnahme einer Reunion in Hamburg 1998 kam es Zeit ihres Lebens nicht dazu. Birch starb 2009 an Lungenkrebs. Als sie entschlief, hielt ihr Mary McGlory die Hand.
Der Star-Club wurde 1970 abgerissen und durch ein Lokal mit Live-Sex-Shows ersetzt. Es bleibt eine Erinnerungstafel: Eine goldene Gitarre auf schwarzem Stein, darunter die Bands, die dort zwischen 1962 und 1969 gespielt hatten. Die Liverbirds stehen an zweiter Stelle, nach den Beatles und vor Ray Charles.
Vor dieser Tafel stehen jetzt Saunders und McGlory und lassen sich von einer Journalistin des Norddeutschen Rundfunks (NDR) anlässlich ihrer Ankunft in Hamburg vor genau sechzig Jahren befragen. Zwei ältere Herren werden von der NDR-Journalistin angehalten und gefragt, ob sie die Liverbirds kennen. «Ja, sicher!», sagen sie, ganz ungläubig, dass sie ihre Stars aus den Sechzigerjahren so unverhofft auf der Strasse treffen. Ob sie denn ein Selfie mit ihnen machen könnten? «Natürlich», antwortet Saunders. «Es ist uns eine Ehre.»