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Rebecca Stewart (mit Headset in der Mitte) führte bei «Wash Me» zum ersten Mal Regie. Davor arbeitete sie als Produzentin.   © Monica Figueras

«Ich dachte den ganzen Tag an den Tod, Sex half mir, mich auszuklinken»

Rebecca Stewart erkrankte an Brustkrebs. Dann drehte sie den weltweit ersten Porno, der Sexualität bei Krebskranken thematisiert. Sie und ihr Lebenspartner Jordi Gasull Casanova sagen: Die Krankheit habe sie eine neue Intimität gelehrt.

Text: Elena Lynch

Medium: NZZ, 28.1.2022

 

Rebecca Stewart, Sie arbeiten in Barcelona als Produzentin für Erika Lust, eine der Pionierinnen der feministischen Pornografie. Nun haben Sie zum ersten Mal selber Regie geführt. Wie kam es zu Ihrem Pornofilm «Wash Me»?

Rebecca Stewart: Im Alter von 28 bin ich 2018 an Brustkrebs erkrankt. Ich musste Chemotherapie machen und mir einen Knoten aus der Brust entfernen lassen. Der Film orientiert sich an meiner Geschichte, das heisst, vor allem an meiner Beziehung: Ich war körperlich so schwach, dass ich auf die Hilfe von Jordi, meinem Lebenspartner, angewiesen war. So musste er mich wochenlang in der Badewanne waschen, weil Duschen nicht mehr ging. Die Krankheit hat uns als Paar an eine neue Intimität herangeführt, die ich als sehr sinnlich und lustvoll empfunden habe. So erlebt es auch die Protagonistin in meinem Film. Der Porno wird da zum Porno, als er sie oral befriedigt und sie seit Monaten wieder einen Orgasmus hat. Das hilft gegen Stressessen.

 

«Wash Me» ist der erste Porno überhaupt, der Sexualität mit Krebs kombiniert. Warum braucht die Welt einen solchen Film?

Stewart: Weil es keinen gab. Die Medien konzentrieren sich bei Krebs auf Tragödie und Tod. Wir brauchen mehr Bücher, mehr Filme, mehr Geschichten, die Krebs in ihren Erzählungen normalisieren statt dramatisieren. Und wenn ich einen Porno drehe, der Sexualität bei Krebskranken thematisiert, dann, weil viele Leute noch nie darüber nachgedacht haben – ausser sie haben es selbst erlebt. Die meisten denken: «Oh, du hast Sex? Bist du nicht krank?» Natürlich habe ich Sex! Manche Menschen sind jahrelang krebskrank. Sollen die sich etwa während Jahren nur aufs Überleben konzentrieren?

 

Jordi Gasull Casanova: Als Rebecca von den Ärzten erfuhr, dass sie Chemotherapie machen muss, glaubte sie, sie werde sterben. Ihre Vorstellung war von Film und Fernsehen geprägt. Dort hatte sie bis dahin nur gesehen, wie Menschen Krebs haben, Chemotherapie machen und sterben.

 

Stewart: Diese Darstellung wollte ich revidieren. Der Film vermittelt, dass nicht alle sterben, die Krebs bekommen. Bei Brustkrebs liegt die Überlebensrate bei 87 Prozent. Die medizinischen Möglichkeiten sind viel effektiver, als es in den Medien vermittelt wird. Die Chancen stehen gut.

 

Der Film zeigt also ein Happy End. Wer muss denn am ehesten erfahren, dass nach Krebs nicht zwingend der Tod kommt? Die Kranken oder die Gesellschaft? An wen richtet sich der Film?

Stewart: An alle. Im Film sagt der Mann zu seiner Partnerin: «Es kommt zurück. Alles.» Damit bezieht er sich nicht nur auf ihre Haare oder ihr Aussehen, sondern auf alles: ihr Lachen, ihre Lebensfreude, ihre Libido. Der Film ist hoffnungsvoll. Man sieht, dass ihre Haare nachwachsen und ihre Lust wiederkommt. Das ist meine Botschaft an Frauen, die Brustkrebs haben: Es wird besser. Allen anderen wollte ich veranschaulichen, wie sie die Frauen unterstützen können – gerade auch als Partner oder Partnerin.

 

Soll Ihr Film aufklären oder anmachen?

Stewart: Er klärt auf. Er sagt aus: Sex und Krebs koexistieren. Es war nicht die Intention, dass der Film erregt. Trotzdem haben mir Leute gesagt, dass sie ihn überraschend sexy fanden. Das hat mich gefreut. Als ich den Leuten erzählt habe, was für einen Porno ich mache, dachten viele, ich fetischisiere Brustkrebs.

 

Oder Frauen ohne Brüste?

Stewart: Genau. Doch das liegt mir fern. Wer von Brustkrebs hört, geht vom Schlimmsten aus. Wenn einen nicht der Tod erwartet, dann eine Mastektomie. Aber so wie ich hat auch die Frau im Film noch immer ihre natürlichen Brüste. Es gibt andere Ausgänge aus der Krankheit, sie müssen nur sichtbar gemacht werden.

 

Die Darstellerin hat beide Brüste und ist gesund. Haben Sie sich nicht überlegt, mit einer Frau zu drehen, die wirklich Krebs hat?

Stewart: Klar. Aber so eine Besetzung ist schwer zu finden. Meistens arbeiten wir mit Darstellerinnen zusammen, die schon Pornos gedreht haben. Mit Laien zu drehen, ist delikat. Die Chance ist klein, eine Person zu finden, die krank und erfahren ist.

 

Wie aufklärerisch darf ein Porno sein, ohne dass er an Erotik verliert?

Stewart: Bildung und Sexiness schliessen sich nicht aus. Auch die Filme auf Pornhub vermitteln uns eine Vorstellung von Sex. Pornos können zur sexuellen Aufklärung beitragen. Warum also nicht die Verantwortung annehmen und zur Abwechslung ehrliche, einvernehmliche, das heisst «ethische» Pornos produzieren?

 

Die amerikanische Pornopionierin Annie Sprinkle hat einmal gesagt: «Die Antwort auf schlechten Porno sollte nicht sein, gar keinen mehr zu drehen, sondern besseren zu produzieren.» In der Theorie würden dem wohl viele zustimmen. In der Praxis schauen sie sich dann doch lieber die «normalen» Pornos an. 2019 registrierte Pornhub 115 Millionen Aufrufe pro Tag. Wie erklären Sie sich das?

Stewart: Was Leute anmacht, ist das Verbotene. Erotikfilme erregen uns, weil wir wissen, dass wir sie nicht schauen sollten. Das gilt auch für mich. Ich schaue gerne Schwulen beim Sex zu, weil Schwulenpornos nicht an mich adressiert sind. Sites wie Pornhub bedienen solche Tabus, indem sie Sex mit Müttern und Minderjährigen zeigen. Aus alledem entsteht die Annahme, dass faire, frauenfreundliche Pornos nicht sexy sein können, weil sie nicht von einem Schamgefühl begleitet werden.

 

Jordi Gasull Casanova, was halten Sie vom Film Ihrer Partnerin?

Casanova: Der Film erzählt unsere Geschichte. Natürlich gefällt er mir.

 

Sie haben Ihre Geschichte in einen Porno gepackt. Wie oft haben Sie davor Pornos geschaut?

Stewart: Ich habe angefangen Pornos zu schauen in dem Jahr, bevor ich von London nach Barcelona gezogen bin. Aber ich habe auf den üblichen Websites nie etwas gefunden, was mir besonders Spass gemacht hätte. Im Gegensatz zu Jordi. (Zeigt auf ihn.)

 

Casanova: Ich schaue nicht oft Pornos. (Lacht.)

 

Stewart: Das stimmt. Aber wenn er welche schaut, dann sind es nicht unsere.

 

Ihre Partnerin macht Pornos, und Sie klinken sich lieber bei der Konkurrenz ein. Warum?

Casanova: Noch einmal: Ich schaue nicht oft Pornos. (Lacht.)
(Casanovas Sohn läuft durchs Bild.)

 

Stewart: Unsere Filme sind zwanzig bis dreissig Minuten lang. Sie sind eher ein Gourmetmenu, kein Fast Food. Aber Jordi will, dass es schnell geht. (Schnippt mit den Fingern.) Er will den Hamburger. Und ich denke, das geht vielen so.

 

Herr Casanova, Ihr Sohn ist gerade durchs Bild gelaufen. Würden Sie ihm eher die normalen oder die ethischen Pornos empfehlen?

Casanova: Mein Sohn ist 14 Jahre alt. Ich befürchte, dass er schon welche gesehen hat und es keine ethischen Pornos waren. Dafür sind die normalen Pornos viel zu einfach zu finden. Wenn man «Porno» googelt, findet man den Mainstream.

 

Stewart: Wenn ein Kind an Pornos gerät, wäre es mir lieber, es wären unsere Filme. Der Zugang zu Pornos muss reguliert werden – nicht im Sinne von Zensur, sondern von Zahlungspflicht. Das Problem mit Pornhub ist, dass man die Website schnell findet und nicht dafür zahlen muss. Eine Paywall würde vermeiden, dass Kinder an Pornos geraten. In Diskussionen um Pornos kommt immer wieder das Argument auf, dass man zum Schutz der Kinder Pornos verbieten sollte. Aber man kann Pornos nicht verbieten, genauso wenig, wie man Alkohol verbieten kann. Was man aber machen kann, ist, alle dafür zahlen zu lassen. Kein Kind kann so einfach in einen Laden laufen und Alkohol kaufen, wie es im Internet Pornos schauen kann. Das muss sich ändern.

 

In den Extras erklärt die Hauptdarstellerin, dass der Film von einem Paar handle, das eine Krebserkrankung durchlebe. Wie hat diese Erfahrung Ihre Beziehung beeinflusst?

Casanova: Rückblickend denke ich, es war ein gutes Jahr für uns.

 

Inwiefern?

Casanova: Es hat uns zusammengeschweisst. Als die Behandlung begonnen hat, haben wir uns beispielsweise entschieden zusammenzuziehen, damit ich mich um Rebecca kümmern kann.

 

Stewart: Wir waren noch nicht lange zusammen, als ich den Knoten in meiner Brust bemerkte. Eine Krebsdiagnose bedeutet für eine Beziehung alles oder nichts, egal, zu welchem Zeitpunkt. Dass wir gleich zu Beginn so geprüft wurden, hat uns als Paar gestärkt.

 

Im Film bildet die Beziehung den Rahmen, aber der Fokus liegt auf der sexuellen Interaktion des Paares. Welchen Effekt hatte die Krankheit auf Ihr Sexleben?

Stewart: Am Anfang haben wir viel miteinander geschlafen. Wir waren wie Teenager, die gerade Sex entdeckt hatten. Ich habe meine eigene Sterblichkeit gespürt und nach Möglichkeiten gesucht, mich lebendig zu fühlen.

 

Casanova: Und ich habe von dieser Suche profitiert.

 

Für den amerikanischen Schriftsteller Philip Roth beziehungsweise für sein Alter Ego Nathan Zuckerman ist man nur beim Sex «voll und ganz lebendig, mit Sex übt man Vergeltung am Tod». Würden Sie dem zustimmen?

Stewart: Absolut. Sex schenkte mir aber auch Seelenfrieden. Ich dachte den ganzen Tag an den Tod. Sex half mir, mich abzulenken, mich auszuklinken. Aber nach ein paar Monaten machte sich die Chemotherapie bemerkbar. Sie raubte mir Energie, löste Hitzewallungen aus, liess meine Periode ausfallen und meine Vagina verkrampfen. Das war hart.

 

Im Film sagt die Protagonistin zu ihrem Partner: «Weiblichkeit ist nicht etwas, das ich gerade habe.» Erlebten Sie das auch so – dass Ihnen durch die Krankheit die Weiblichkeit abhandengekommen ist?

Stewart: Dieser Satz bereitet mir viel Sorge. Wir schenken weiblicher Schönheit so viel Aufmerksamkeit, dass der Verlust davon als das Schlimmste anmutet, was einer Frau passieren kann. Aber so ist das nicht. Ich habe keine Krebspatientin getroffen, die nicht damit klarkam, dass sie keine Haare mehr hatte. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich den Satz drinlassen soll. Gleichzeitig gehört es dazu. Für mich war es schlimmer, die Augenbrauen und Wimpern zu verlieren, als die Haare. Manchmal dachte ich: «O Gott, ich sehe aus wie eine Kartoffel.»

 

Herr Casanova, sah sie wirklich aus wie eine Kartoffel?

Casanova: Natürlich nicht. Aber ich mag es, herumzualbern. Also habe ich ihr den Übernamen Bolica gegeben. Das heisst «kleine Kugel» auf Spanisch.

 

Stewart: So nennt er mich immer noch. Ich fand solche Blödeleien hilfreich. Andere Leute machten mir stattdessen ständig Komplimente, was ich wenig glaubhaft fand. Ich hatte Krebs und entsprach nicht den gängigen Schönheitsidealen. Und das war okay. Ich fürchtete eher, dass Jordi mich nicht mehr attraktiv finden könnte. Was man in dem Moment will, ist begehrt und gesehen zu werden. Aber wenn man sichtbar Krebs hat, sehen die meisten nur die Krankheit und nicht die Person.

 

Herr Casanova, hatten Sie Angst, dass Sie Ihre Partnerin wegen ihres veränderten Aussehens nicht mehr anziehend finden würden?

Casanova: Nein. Sie sah sehr schön aus!

 

Stewart: Er ist ein einfacher Mann. (Legt den Kopf auf seine Schulter.)

 

Casanova: Im Gegenzug hoffe ich natürlich, dass sie mich auch noch lieben wird, wenn ich eine Glatze bekomme.

 

 

Rebecca Stewart, Erika Lust und die feministische Pornografie

Rebecca Stewart war Journalistin in London und drehte Dokumentationen und sachbezogene Serien fürs Fernsehen, bevor sie nach Barcelona zog. Am Tag ihrer Ankunft lernte sie Jordi Gasull Casanova kennen. Der 47-jährige Casanova arbeitet bei einer Bank in Barcelona, wo er auch aufgewachsen ist. Heute produziert Rebecca Stewart Pornos für die Produktionsfirma Lust Films, die 2004 von der schwedischen Politikwissenschafterin Erika Lust gegründet wurde. Lust gilt als Pionierin der feministischen Pornografie. Ihr Ziel sind sogenannte frauenfreundliche Indie-Pornos, die intelligente Narrative, nachvollziehbare Charaktere und realistischen Sex präsentieren. Als Rebecca Stewart bei Lust Films anfing, realisierte sie bald, dass das der Job war, nach dem sie immer gesucht hatte. Hier hatte sie das Gefühl, etwas bewegen zu können, filmisch einen erfrischenden Blick auf die Gesellschaft zu werfen. 2021 führte sie zum ersten Mal auch Regie. Ihr Debüt «Wash Me» dauert 20 Minuten und ist auf XConfessions zu sehen. Den Trailer gibt’s auf Youtube. Der Film, ästhetisch und realistisch umgesetzt, erinnert eher an einen Spielfilm. Keine wackelnde Kamera – sondern diese gleitet sanft über die Szenen. Nur das Schauspiel überzeugt nicht immer, was wohl zum Genre gehört.

 

 

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart

Brustkrebs ist inzwischen die häufigste Krebsart. Davor lag Lungenkrebs zwei Jahrzehnte lang auf Platz eins. Danach folgt Darmkrebs, die dritthäufigste Variante. Laut der Weltgesundheitsorganisation wurden 2020 schätzungsweise 2,3 Millionen neue Fälle von Brustkrebs diagnostiziert. Rund 12 Prozent aller neuen Fälle entfallen jedes Jahr auf diese Form der Erkrankung. Gemäss der Krebsliga Schweiz gibt es hierzulande jedes Jahr 6200 neue Fälle von Brustkrebs bei Frauen und etwa 50 bei Männern. Bei Frauen ist Brustkrebs die am häufigsten diagnostizierte Krebsart. Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, steigt ab einem Alter von 50 Jahren deutlich an. Ein Viertel der Betroffenen ist zum Zeitpunkt der Diagnose allerdings jünger als 50 Jahre; so wie Rebecca Stewart, die 28 war, als sie die Brustkrebsdiagnose erhielt.

 

 

 

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