Text: Elena Lynch
Medium: ZEIT MAGAZIN, 3/2024, 11.1.24
Herr Young, Sie fliegen durch die Welt und verbringen bis zu zwei Wochen pro Monat in Hotels. Vor acht Jahren haben Sie Ihren ersten Hotelteppich fotografiert, inzwischen sind es über 300. Wann ist ein Teppichboden für Sie eines Fotos würdig?
Er sollte flippige Farben, wilde Muster und ein erkennbares Konzept haben. Früher war es üblich, dass Designer Teppichmuster für die Gemeinschaftsräume von Hotels entwarfen – und sich dabei von den Charakteristika des jeweiligen Landes inspirieren ließen. Im Shelbourne Hotel in Dublin ist der Teppich daher grün und blau und im Residence Inn Duke Street in Alexandria beige und braun. Leider tendieren luxuriöse Hotels wie Marriott oder RitzCarlton, in denen ich auf Dienstreisen meistens übernachte, inzwischen eher zu einfarbigen Teppichen in gedämpften Tönen wie Beige. Das ist schlecht für meine Sammlung.
Gehen Sie auf Teppichjagd, wenn Sie nichts finden?
Nehmen wir das Nagoya Marriott in Japan: In keinem Hotel bin ich in den vergangenen 20 Jahren häufiger untergekommen. Man könnte annehmen, dass ich dort alle Teppichböden gesehen habe. Aber als mein Instagram Account 2017 viral ging, bekam ich eine Tour durch die 52 Stockwerke. In den Ballsälen und Kongressräumen sahen die Teppichböden mit ihren Kernstücken und Randmustern aus wie große Mandalas. Natürlich habe ich sie alle fotografiert! Es kann also sein, dass in Ballsälen und Kongressräumen aufregende Teppichböden nach alter Art zu finden sind, während in der Lobby oder den Gängen längst langweilige Exemplare liegen.
Hotelteppiche zu finden und zu fotografieren – ist das eine willkommene Aufgabe für Sie zwischen zwei Flügen?
Fotografieren war schon vorher mein Hobby. Ich komme nur in Fahrt, wenn ich eine Aufgabe vor Augen habe, und das Fotografieren hilft mir, morgens aufzustehen. Außerdem dienen mir die Teppichböden als Tagebuch. Jeder einzelne erinnert mich an etwas anderes.
Sind Ihnen zwischen Kontinenten und Ländern Unterschiede aufgefallen?
In Asien haben Teppichböden in der Regel bunte Hintergründe, orale Muster und geschwungene Linien. In Europa ist alles etwas ernster und eckiger. Dort haben die Teppiche meistens geometrische Muster und sind in dezenten Farben gehalten.
Was war der schlimmste Teppich, den Sie je gesehen haben?
In Kalifornien musste ich mal in einem zwielichtigen Hotel unterkommen, weil alle anderen Häuser wegen einer Veranstaltung ausgebucht waren. In der Mitte meines Zimmers hatte der Teppich einen großen roten Fleck. Ich war schockiert: Wurde hier jemand niedergestochen?
Der Ethnologe Marc Augé nennt Casinos und Hotels «Nicht-Orte», weil sich dort niemand langfristig aufhält und es ihnen an Identität fehlt. Gerade dort wird oft Teppich eingesetzt.
Vielleicht weil die Orte so stark frequentiert sind? Teppiche schlucken Dreck, dämpfen Lärm und lassen sich leicht reinigen – man muss sie nicht wischen und trocknen lassen, sondern saugt drüber, und schon sind sie wieder begehbar.
Auf Instagram hat Ihr Account @myhotelcarpet mittlerweile mehr als 300.000 Follower. Was fasziniert die Leute an Ihren Bildern?
Vielleicht haben meine Fotos ihren Blick auf die Welt verändert. Bevor ich sie auf die ausgefallenen und aufwendigen Designs der Teppiche aufmerksam gemacht habe, sind sie einfach blind darübergelaufen. Jetzt schätzen sie etwas, was sie davor nicht zu schätzen wussten.
Wer einmal einen Hotelteppich bewusst angesehen hat, schaut immer wieder hin?
So ist es! Als Pilot verbringe ich viel Zeit damit, in der Lobby auf Kollegen zu war ten. Eines Tages rutschte mein Blick vom Handy in der Hand zum Teppich auf dem Boden. Ich dachte, das ist ein interessanter Teppich, und fotografierte ihn. Danach sah ich überall nur noch Teppiche.
Was wussten Sie vorher über Teppichböden?
Außer wie man sie staubsaugt, gar nichts! Mittlerweile habe ich sogar selbst einen gestaltet: Nachdem mein Account viral gegangen war, lud Marriott mich, meine Frau und meine Tochter ins Haupt quartier in Maryland ein, um dort mit Designern einen Teppich zu entwerfen. Dieser Teppich wurde in einem Hotel in Austin enthüllt, aber – zu meiner eigenen Überraschung – am Ende mir übergeben. Seither steht das Stück zusammengerollt in meinem Büro daheim in Dallas.