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Laut dem Schweizer Bundesamt für Statistik befürchten siebzig Prozent der Frauen, dass sich die Geburt eines Kindes negativ auf ihre Berufsaussichten auswirken wird.   © Imago Images

Die Mutter aller Fragen

Unsere Autorin weiss nicht, ob sie Kinder will. Sie besucht ein Seminar – und merkt, wie politisch die Frage für sie ist.

Text: Elena Lynch

Medium: annabelle, 8/2022

 

Berlin an einem Samstag im September. Ich sitze mit zehn anderen Frauen in einem Kreis auf Yogamatten. Wir kennen uns nicht, haben aber eines gemeinsam: Wir wissen nicht, ob wir Kinder wollen. Und wir sind alle hier, um es herauszufinden. «Will ich Kinder?», so heisst das Seminar. Dieses gibt es seit einem Jahr, kostet 290 Euro und wird von zwei Frauen geleitet, die sich bereits entschieden haben: Die Kulturwissenschaftlerin Sarah Diehl (44) hat keine Kinder, die Therapeutin Anna Schmutte (47) ist mit 43 Jahren noch Mutter geworden.

 

Die Frage kam bei mir mit meinem dreissigsten Geburtstag auf und steht seither im Raum. Sie hat sich nicht intuitiv in mir formiert, sondern wurde von aussen an mich herangetragen: Mit 26 fragte mich eine Freundin, ob mein Herz auch hüpfe, wenn ich ein Kind sehe. Mit dreissig riet mir meine Frauenärztin, über Kinder nachzudenken. Manchmal fühle ich mich so, als mache mir jemand ein einmaliges Angebot («Jetzt oder nie – aber dann für immer!»), das anzunehmen ich überhaupt nur in Erwägung ziehe, weil es sich wegen meiner Gebärfähigkeit aufdrängt. Aber nicht, weil ich es schon immer wollte.

 

Die Psychologin und Autorin Stefanie Stahl sagt in einem Interview mit dem «Zeit Magazin» zur Kinderfrage: «Wenn man sich unter Druck setzen lässt, ist das ein Anzeichen dafür, dass man bei dem Thema selbst ambivalent ist.» Ja, ich bin ambivalent. Vor allem aber möchte ich diese einschneidende Entscheidung nicht leichtfertig treffen, indem ich einem Automatismus folge oder einer Angst nachgebe. Darum lese ich Bücher, führe Gespräche, schaue Dokumentationen – und besuche sogar dieses Seminar, bin dafür nach Berlin gereist.

 

Die Lebenssituationen der Frauen im Sitzkreis sind sehr unterschiedlich. Die Erste will Kinder, findet aber keinen Partner. Die Zweite hat einen Partner, der aber keine Kinder will. Bei der Dritten ist es umgekehrt. Die Vierte hat ihre Eizellen eingefroren. Die Fünfte trauert, weil sich ihre Freundinnen «in ihr familiäres Nest zurückgezogen haben». Die Sechste hat alle Mütter aus ihrem Umfeld aussortiert. Die Siebte hatte eine Fehlgeburt. Die Achte eine Abtreibung. Die Neunte bin ich.

 

Im Gespräch fügen sich die individuellen Geschichten zu einem universellen Frauenleben zusammen. Wir erkennen uns ineinander wieder, vor allem in unseren Ängsten: Angst, sich falsch zu entscheiden. Angst, etwas zu verpassen. Angst, sich zu verlieren. Angst, andere zu verlieren. Angst, allein zu sein. Angst, sich zu irren. Angst, sich nicht zu verzeihen. Angst, nicht gut genug zu sein. Angst, wie die eigene Mutter zu werden. Angst, etwas zu bereuen.

 

Auch ich habe Angst. Sie gründet in beiläufigen Bemerkungen wie diesen: «Du wirst weniger Sex haben.» «Du wirst nie wieder Zeit für dich haben.» «Du wirst immer müde sein.» «Du wirst mit allem alleine sein.» – Ich habe vor allem die negativen abgespeichert. Vielleicht als Ausgleich zu dem, was ich sonst durch meine Sozialisation mitbekommen habe. Ich bin in einem katholisch-konservativen Ort aufgewachsen, im Wallis, wo die Mitte als stärkste politische Partei die Familie als christliches Ideal stilisiert. In einem solchen Kontext als junge Frau neutral über die Kinderfrage nachzudenken, ist schwierig. Alle Frauen sind Mütter. Und was die in der Regel sagen, ist, dass ein Kind das Schönste ist, was ihnen passiert ist im Leben. Aber reicht das, um es selbst auch zu wollen?

 

Erzählt mir meine Mutter, dass eine meiner früheren Freundinnen geheiratet oder ein Kind geboren hat, ist mir das egal. Hätte ich hingegen erfahren, dass sie Pilotin oder Politikerin geworden ist, hätte ich mich wohl gefreut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Muttersein alles ist, was diese Frauen vom Leben erwarten. Ich stelle ihre Motivation infrage. Und ich unterstelle ihnen Einfallslosigkeit. Sich den Phasen des Lebens – Schule, Studium, Job, Heirat, Hund, Haus, Kind – entlangzuhangeln, ist einfacher, als sich selbst etwas auszudenken.

 

Ich aber will für das anerkannt werden, was ich gesehen und geschaffen habe – und nicht für das, was ich geboren habe. Warum mir das so wichtig ist? Vermutlich, weil die meisten Frauen in meiner Familie minderjährig schwanger geworden sind – und augenblicklich zu träumen aufgehört haben. Ich entschied früh: So sollte es für mich nicht laufen. Ich habe studiert, als erste in der Familie einen Masterabschluss gemacht, ich bin gereist, ich bin weggezogen, immer weiter weg, so weit, bis es immer unwahrscheinlicher wurde, dass ich irgendwann doch zurückkommen, einen Walliser heiraten, ein Haus bauen, ein Kind bekommen würde.

 

Laut Bundesamt für Statistik befürchten siebzig Prozent der Frauen, dass sich die Geburt eines Kindes negativ auf ihre Berufsaussichten auswirken wird. Je besser ausgebildet sie sind, desto öfter äussern sie diese Sorge. Ich gehöre zu ihnen. Entweder man ist Mutter – oder man macht sein Ding. Beides geht nicht. Davon bin ich überzeugt. Woher sollte ich mir als Mutter die Zeit nehmen, um schöne Sätze zu formulieren? Ich müsste beim Schreiben hobeln statt feilen. Würde ich das nicht bereuen?

 

Orna Donath hat für ihr Buch «Wenn Mütter bereuen» mit 23 Müttern geredet. Sie alle bereuen es, Mutter zu sein. Aber nicht, Kinder zu haben. Eine entscheidende Nuance. Die Reue, die diese Frauen empfinden, entspringt aus der (späten) Erkenntnis, dass die Mutterschaft ihnen zwar etwas Wertvolles gegeben, aber auch Wertvolles genommen hat: ihre Freiheit, ihr Selbst.

 

Egal, was mir gesagt und erzählt wird, ich traue nur der Furcht, dass mein Mutter-Ich mein Mensch-Ich verdrängen würde, dass ich aufgeben müsste, was mir wichtig ist, und das Schreiben ist dabei nur eine Sache von vielen. Ich mache mir keine Illusionen. Es fällt mir schwer, darauf zu vertrauen, dass ich mein Muttersein selbst dosieren könnte, dass ich nicht hundert Prozent Mutter sein müsste. Franziska Schutzbach schreibt in ihrem Buch «Die Erschöpfung der Frauen»: «Viele eher privilegierte Frauen schaffen es, bis zum Zeitpunkt des Elternwerdens den Glauben aufrechtzuerhalten, sie wären gleichberechtigt und könnten alles erreichen.» Auch die egalitäre Elternschaft.

 

Meine Mutter sagt – aus eigener Erfahrung –, dass Paare nach der Geburt des ersten Kindes in traditionelle Geschlechterrollen zurückfallen, auch wenn sie sich das Gegenteil vorgenommen haben. Die Statistik bestätigt das: In der Schweiz arbeiten 78 Prozent der Mütter Teilzeit, bei den Vätern sind es nur 12 Prozent. Wieso sollte es bei mir anders sein? Meine Mutter sagt auch, dass Elternschaft und Partnerschaft sich konkurrenzieren können. Meine Eltern haben es nicht geschafft, die Balance zu halten. Sie liessen sich scheiden. So wie meine Tante und mein Onkel und meine beiden Grosseltern. Und wie zwei von fünf Ehepaaren in der Schweiz.

 

Als die ersten Bücher über Mutterschaft erschienen, die etwas anderes erzählten als das traditionelle Narrativ, wollte ich sie alle lesen. Die entromantisierten Darstellungen halfen mir, das Muttersein objektiver einzuschätzen. Sie führten aber auch dazu, dass aus der persönlichen Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder nicht, plötzlich eine extrem politische wurde. Die Bücher beschrieben eine Realität, die von Müttern nach wie vor mehr abverlangt als von Vätern. Dieser Ungerechtigkeit wollte ich mich nicht unterwerfen.

 

Diese Radikalität überraschte mich. Und sie fühlte sich falsch an. Ich wollte nicht aus traditionellen Gründen Kinder kriegen, aber auch nicht aus feministischen keine. In beiden Fällen fühlte ich mich fremdbestimmt. Dabei wollte ich doch frei sein.

 

Im Seminar «Will ich Kinder?» werden wir angeleitet, einen angstfreien Blick einzunehmen. Es ist eine Schreibübung: Wir notieren uns, wie unser Leben in fünf Jahren mit und ohne Kind aussieht. Und dann, wie es mit und ohne Angst aussieht. Dabei geht es nicht darum, sich zu entscheiden, sondern sich beide Szenarien zuzutrauen. Das ändert alles. Wir merken, dass die Absolutheit, vor der wir Angst hatten, nur eintrifft, wenn wir sie lassen. Statt uns dem «Schicksal» hinzugeben, können wir unser Leben so gestalten, dass es uns glücklich macht – ob mit oder ohne Kind.

 

Doch nach Selbstverwirklichung – und Umsetzung – schreien vor allem die kinderlosen Lebensentwürfe: Die Erste will ein Buch schreiben, die Zweite die Dating-App löschen und mit Stand-Up Comedy anfangen, die Dritte nach Asien auswandern, die Vierte im Wald leben, die Fünfte die Patenschaft eines Otters übernehmen, die Sechste sich um sich selbst drehen und eine «arschteure» Küche kaufen, die Siebte sich dem Patenkind widmen und Familie neu denken, die Achte alleine reisen. Und ich? Ich will wissen, welche Kräfte (traditionelle oder feministische) auf mich wirken – und mich dann unabhängig davon entscheiden.

 

Es gibt keine Katharsis. Nur weniger Angst.