Text: Elena Lynch
Medium: Walliser Bote, 7.11.2023
Ich habe eine Freundin, die bekomme ich keinen Berg hoch, und trotzdem trägt sie täglich Salomon Schuhe, und zwar in der Stadt. Für mich unverständlich. Ich bin in den Bergen aufgewachsen, da hatte Funktionskleidung immer eine Funktion, sie sollte einen vor Wind und Wetter schützen und am Leben halten. In Grossstädten, wie Berlin zum Beispiel, ist sie indes zu einem Statussymbol für reiche Hipster geworden: Regenjacke von Arc’teryx, Daunenjacke von The North Face, Gore-Tex-Schuhe von Salomon – hat man das alles auf einmal an, ist man total im Trend und trägt Ware im Wert von mindestens 1000 Franken.
Der hohe Preis rechtfertigt sich ja dadurch, dass die Sachen sauviel können, man sollte damit stundenlang durch den Schnee waten und trotzdem trocken am Ziel ankommen können. In Grossstädten ist die Funktion jedoch zweitrangig. Die Hipster laufen mit ihren Salomon Schuhe auf dem Weg zum nächsten Co-Working-Space nicht über rutschiges Gelände (höchstens nasses Laub im Herbst) oder einen steilen Hang hoch, schliesslich sind die Städte tendenziell flach und zugepflastert. Schuhe sind hier Schuhe, Jacken sind Jacken, Kleidung braucht keine Funktion. Natürlich gibt es auch in Grossstädten mal Niederschlag, aber ein Schirm bringt einen dann grad so gut vom Büro zur nächsten U-Bahn-Station und damit trocken nach Hause – für diese fünf Minuten Wetterkontakt braucht es nicht unbedingt eine Wind-und-Wetter-Jacke von Jack Wolfskin oder Gore-Tex-Schuhe von Sportiva.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Funktion für Hipster nicht im Vordergrund steht, ist, dass sie die Schuhe saisonabhängig tragen (vielleicht, weil sie auf ihre Kosten kommen wollen, schliesslich kriegt man die Schuhe nicht unter 150 Franken), also auch im Sommer, und dann am liebsten in Kombination mit weissen Söckchen und einem Jeansrock bei Frauen und weissen Sportsocken, hochgezogen bis zum mittleren Schienbein, und kurzen Hosen bei Männern. Gewissermassen sehen die Hipster jetzt aus wie Amische. Absurd alles, aber eben auch angesagt.
Damit hat Normcore – der Begriff ist ein Kofferwort aus den englischen Wörtern «normal» und «hardcore» und bezeichnet einen Unisex-Modetrend, nach dem man sich so durchschnittlich bis so uncool wie möglich anzieht, also so ein bisschen wie die Eltern, wenn sie wandern gehen, halt nur für das Date nach Feierabend – eindeutig seinen Höhepunkt erreicht. Aber so ist das manchmal mit der Mode: Kleidungsstücke werden aus ihren ursprünglichen Kontexten gerissen und erhalten durch diese Verlagerung einen neuen Wert.
Das Problem für mich dabei: Ich ordne Salomon Schuhe noch zu sehr ihren ursprünglichen Kontexten zu. Für mich sind das nicht die neuen, coolen Schuhe, sondern die alten, uncoolen Schuhe. Wie alle, die in den Alpen aufwachsen, hatte auch ich nämlich von klein auf Wanderschuhe, meistens von Lowa, mit denen ich an Wochenenden irgendwelche Wanderwege hochstampfen musste.
Als mir die knöchelhohen Lowa im Alter von 13 Jahren zu uncool wurden, ich aber nicht durchsetzen konnte, dass ich fortan nur noch in Turnschuhe wandern würde, war der Kompromiss, den ich mit meiner Mutter aushandelte, dass ich statt den knöchelhohen Lowa die halbhohen Salomon tragen würde. Die hatten immerhin eine Sohle mit Profil, die mich vor dem Ausrutschen, aber nicht vor dem Umknicken bewahren würden, so Mutter, die damit haderte, ihr Kind nicht mehr vor allen Gefahren des Lebens beschützen zu können.
Als ich mit 18 Jahren das Alter erreichte, in dem ich endlich selbst entscheiden durfte, was für Schuhwerk ich trug, nahm ich die Salomon Schuhe nirgendwo mehr mit. Als ich nach Südamerika reiste waren die besten Schuhe, die ich dabeihatte, Chucks von Converse mit flacher Sohle und null Halt. Wehgetan habe ich mir damit nie. Inzwischen, mehr als zehn Jahre später, trage ich auf Wanderungen wieder die knöchelhohe Lowa. Ich habe mich mit ihnen versöhnt. Ob ich mich auch mit den halbhohen Salomons versöhnen werde, hängt davon ab, wie stark der Gruppenzwang in der Grossstadt ist.