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Der italienische Philosoph Umberto Eco schreibt, dass es mit der Abschlussarbeit wie mit dem Schlachten eines Schweines sei: Man werfe nichts davon weg.   © Imago Images

Vom Schlachten eines Schweines

Das Schreibens einer Abschlussarbeit ist eine formative Erfahrung, da man dabei nicht nur Forschungsfragen, sondern auch Lebensfragen beantworten muss.

Text: Elena Lynch

Medium: Walliser Bote, 8.10.2020

 

«Es ist wie ein Kind gebären, man vergisst den Schmerz», sagte eine Freundin neulich. Wir sprachen über unsere Masterarbeiten. Ob Schwangerschaft oder Studium, in beiden Fällen bleibt etwas, das einem (in der Regel) niemand mehr wegnehmen kann. Ein Kind, ein Abschluss. Doch der jeweilige Weg dorthin kann belastend sein.

 

Die Geburt ist ein physischer Kraftakt, der das Potenzial hat zu einem psychischen zu werden, wenn es schlimm wird. Bei der Masterarbeit ist es genau umgekehrt, wenn es schlimm wird. Und schlimm wird es bei vielen: ein Scheidenpilz, der nicht mehr weggeht. Eine Mandelentzündung, die immer wiederkommt. Eine Autoimmunerkrankung oder Neurodermitis, die ausbricht. Appetitlosigkeit, die andauert. Schlafstörungen und Angstzustände, die wachalten. Dass Hilfe oftmals erst geholt wird, wenn die psychischen als physische Beschwerden an die Oberfläche gelangen, ist bezeichnend dafür, dass unsere Gesellschaft körperlichen Problemen mehr Beachtung schenkt als mentalen, obwohl Ersteres oftmals die Konsequenz von Letzterem ist. In meinem näheren Umfeld reagierten fast alle körperlich auf die mentalen Belastungen, die so eine Abschlussarbeit mit sich bringt. Die meisten haben diese Zeit vor mir überstanden, aber wie sehr sie damals in Krise waren, erfuhr ich erst später, als der Schmerz schon fast vergessen war.

 

Eine Studie des Bundesamtes für Statistik hat 2018 gezeigt, dass 26 Prozent der Studierenden in der Schweiz an psychischen Problemen leiden. Zurückzuführen ist dieser Zustand vor allem auf unsere leistungsgetriebene Welt, deren Soundtrack lautet: harder, better, faster, stronger. Im Studienkontext schlägt sich das wie folgt nieder: Die Bologna-Reform mit ihrem Bachelor- und Mastersystem zielt neben internationaler Vergleichbarkeit auch auf schnellstmögliche Abschlüsse und Arbeitsmarktintegration ab, wodurch der Druck auf die Studierenden erhöht wird. Ausserdem müssen die meisten von ihnen neben den Vorlesungen arbeiten. Auch der Konkurrenzdruck steigt, weil immer mehr studieren. In den Ferien ist dann ebenfalls Arbeit angesagt, oder ein Praktikum, um Erfahrung zu sammeln und Vorsprung zu gewinnen. Das Studium wird zunehmend als fordernde Zeit erlebt. Besonders gegen Schluss.

 

So geht die Masterarbeit mit vielen Begleiterscheinungen einher: Versagensängste. Einsamkeit. Selbstmitleid. Zukunftsängste. Rastlosigkeit. Ratlosigkeit. Leistungsdruck. Erschöpfung. Selbstzweifel. Die Liste ist lang. Der italienische Philosoph Umberto Eco schreibt in seiner Anleitung zum Schreiben einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit: «Ihr müsst die Arbeit als Herausforderung auffassen. Herausgefordert seid ihr: Ihr habt euch am Anfang eine Frage gestellt, auf die ihr noch keine Antwort wusstet.» Dass man aber zeitgleich zur Forschungsfrage plötzlich auch noch Lebensfragen beantworten muss, darauf war man nicht vorbereitet. Bin ich genug? Schaff ich das? Wohin mit mir? Oje, oh weh! Als klassische Schwellensituation, die den Übergang von einer Lebensphase zur nächsten markiert, wird diese Zeit nicht nur zur akademischen, sondern auch zur existenziellen Herausforderung. Kein Wunder, dass man da nicht mehr schläft. Und doch ist dieser Schmerz, trotz allem, ein Privileg.

 

Letztlich bleiben sowohl vom akademischen als auch vom existenziellen Findungsprozess viele Lebenslehren übrig. In diesem Zusammenhang schreibt Eco, dass es mit der Abschlussarbeit ist wie mit dem Schlachten eines Schweines: Man wirft nichts davon weg. Auch wenn man sich manchmal eher wie das Schwein als wie der Schlächter gefühlt hat, ist es wohl gerade diese Empfindung, welche die Abschlussarbeit zu einer formativen Erfahrung macht. Das sage ich jetzt wohl auch nur, weil der Schmerz fast vergessen ist. Aber irgendwie muss man sein Baby ja lieben lernen.